Wandel von Unten – Stadt für alle
In Berlin demonstriert ein breites Bündnis lokaler Initiativen für soziales Wohnen und für die selbstbestimmte Gestaltung der Stadt durch ihre Bewohner. Aufgerufen haben Studenten der Humboldt Universität zu Berlin. Was sich hinter dieser Demonstration verbirgt, ist die Konsequenz eines tiefgreifenden sozialen Wandels. Ein Bericht.
Jenen Studenten, die am Samstag auf der Demo vertreten waren sah man die Müdigkeit nicht an. Dabei hätten sie allen Grund dazu gehabt. Bereits seit zehn Tagen halten sie das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität besetzt. Auslöser für die andauernde Besetzung war die Entlassung ihres Dozenten für Stadtsoziologie, Andrej Holm. Holm, der zusätzlich auch sein Amt als Baustaatssekretär der rot-rot-grünen Berliner Regierung vor einigen Tagen niederlegen musste, ist bekannt für seine kritische Forschung zu stadtpolitischen Entwicklungen wie Gentrifizierung und städtischen Ausverkauf.
„Andrej war unser Sprachrohr“, sagt ein Mann vom Pankower Mieterprotest im studentischen Plenum. Der Raum im sozialwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität ist voll. Holm habe dem Mieterprotest zugehört und dessen Anliegen nach außen getragen. Die Empörung über seine Entlassung ist mehr als deutlich. Es sind viele solcher Aussagen zu hören. Die Studenten hatten an diesem Freitag stadtpolitische Initiativen eingeladen. Es wurde einem vor Augen geführt, wie zahlreich sie sind. „Kotti & Co“, „Mieter*innen der Otto-Suhr-Siedlung“, „Stadt von Unten“, „100% Tempelhofer Feld“. Sie alle eint die Wut auf die Berliner Stadtpolitik.
Schnell wird klar, hier geht es um mehr als die Causa Holm. Die politische Stimmung ist gereizt. Es scheint, als hätten viele auf eine Möglichkeit gewartet, ihrem Unmut Luft zu machen. „Präsenz und politischer Widerstand“ würden zu wenig stattfinden, kommentiert Max, Student an der Humboldt, der bereits seit einigen Tagen im Institut nächtigt. Er spüre „eine generelle Unzufriedenheit“, der nun endlich durch die Besetzung Raum zur Verfügung stehe. Aber woher kommt diese Unzufriedenheit?
Überall in deutschen Städten hat sich in den letzten Jahren der Mietspiegel erhöht. Sogar Zimmer in Studentenwohnheimen liegen meist bei 400 Euro aufwärts. Die Diskrepanzen der ökonomischen Entwicklung sind unmittelbar spürbar. Während die Steuereinnahmen durch die Verschlankung des Staates sprudeln, Konzernumsätze und internationales Finanzkapital unvorstellbare Geldbeträge aggregieren, rutschen Akademiker aber auch Handwerker in finanziell prekäre Lebensverhältnisse.
Es ist die viel zitierte Schere von Arm und Reich, es sind Makrostrukturen wie Institutionen, Staaten und Organisationen mit ihren gigantischen Umsätzen einerseits, und die vielen Einzelnen andererseits; „die da oben und wir hier unten“. Es ist abstrakt.
Die Zeit widmete vor kurzem diesem Trend ein ganzes Dossier. Die Demokratie wäre in Gefahr, so die Botschaft. „Früher saßen im Deutschen Bundestag zahlreiche Abgeordnete, die bloß [sic!] die Volkshochschule besucht hatten. Sie waren Werkzeugmacher, Handwerker, einfache Leute.“ Heute sei das nicht so, weshalb sich jene nicht länger repräsentiert sehen. Es ist schlicht konsequent, dass sich dadurch ein politisches Vakuum herausbildet. Daran tragen die politischen Parteien die Hauptverantwortung. Wer sich heute bezüglich der dieses Jahr anstehenden Bundestagswahl umhört, hört oftmals eine allgemeine Orientierungslosigkeit heraus.
Der Anstieg der parteilichen Ausgaben für professionelle Kommunikationsberatung hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Die scharfe thematische Abgrenzung der Parteien untereinander wurde dadurch erschwert. Parteien selbst wurden zu professionellen Wählerparteien. Getreu marktwirtschaftlicher Lehren suchten Parteien dort nach Wählern, wo Konzerne nach Konsumenten suchen – in den anonymen Massen. Die Ausrichtung der politischen Parteien zu Themenfeldern, die die größte Wählerschaft versprechen, mündet in eine konsequente Missachtung von Bevölkerungsschichten. Mit dem Soziologen Didier Eribon gesprochen, in eine Missachtung von ganzen sozialen Klassen.
Was die Welt demnach derzeit erlebt, ist die Füllung dieses Repräsentations-Vakuums durch Parteien und Personen, die ein bizarres und eindimensionales Weltbild predigen: AfD, Front National, Geert Wilders, Donald Trump. Es erscheint beinahe ironisch, dass ausgerechnet in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden dieses Jahr Bundeswahlen stattfinden. In jenen Ländern, in denen eindimensional denkende Rechtspopulisten großteils in die gesellschaftliche Mitte vorgedrungen sind. Ihr Siegeszug ist ein Siegeszug der „Irrationalität“, wie es ein Redakteur kürzlich bezeichnete. Die wahren Bedeutungen von „postfaktisch“ und „Fake News“ werden einem dadurch lebendig vor Augen geführt.
Die gravierenden Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur, der Übergang von Industrie- in Dienstleistungsgesellschaften, Urbanisierung und Migration, sie alle werfen eine neue soziale Frage auf; und die ist, wie der Berliner Baustadtrat Ephraim Gothe meint, stadtpolitischer Lesart. Und die kann der Markt ganz sicher nicht richten. Schon allein deshalb will Gothe Stadtpolitik zu einem „echten linken Projekt“ machen, wie der Tagesspiegel schreibt. Die Causa Holm streut vor allem deshalb großes Misstrauen. Tatsächlich gibt es genügend Anlass dafür, denn Stadtpolitik ist ohne Finanzpolitik nicht zu denken. Und die ist bekanntlich entfesselt. Verkaufen geht schnell; verstaatlichen hingegen ist ein langer, umkämpfter, juristischer Prozess.
Die politischen, die sozialen Fragen, im Großen wie im Kleinen, sie sind lokal. Eine globalisierte Politik, die über die Köpfe der Menschen hinweg entscheidet, ist überall, nur nicht im unmittelbaren Hier und Jetzt der Bevölkerung. Im Wohnen und im Leben. Möchte die Berliner Regierung diesen Trend umkehren, dann muss sie die zahlreichen stadtpolitischen Initiativen hören, sie muss sie mitbestimmen lassen, auch um dem Rechtspopulismus den Nährboden zu entziehen. Sie muss die direkte Beteiligung und Einbindung von Bürgern und sozialen Bewegungen in den politischen Entscheidungsprozess vorantreiben.
Mitte letzten Jahres hatte der an der Humboldt Universität lehrende Politologe Wolfgang Merkel bereits gewarnt, junge Linke und Studierende hätten den Bezug zur „Unterschicht“ verloren, sie hätten sich Richtung globale Elite orientiert. Die studentischen Besetzer des sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt Universität haben nun das Gegenteil bewiesen. Mit ihrem zur Verfügung gestellten Forum für stadtpolitische Initiativen für eine Stadt von Unten haben sie einen ersten Schritt getan hin zu einer kritischen, lokalen Öffentlichkeit, die ihr Recht auf Mitbestimmung einfordert.
Sie alle sind präsent an jenem sonnigen Samstag im Herzen Berlins. Vereint und laut demonstrieren sie vor dem Roten Rathaus, dem Humboldt-Forum, dem Stadtschloss, dem alten Stadthaus, der Volksbühne. „Die Menschen wollen ihre Stadt zurück“, kommentiert eine Teilnehmerin. Sie läuft für die Bewegung „Democracy in Europe Now Movement“, kurz DiEM, mit. DiEM wolle die „rebellischen Städte“ Europas vernetzen. Das städtische Vorbild derzeit sei Neapel, erzählt sie. Dort werden die Erhaltung öffentlicher Güter und sozialer Einrichtungen, eine offene Aufnahmepolitik in Bezug auf Migranten und Flüchtlinge effektiv gefördert. Neapel sei die einzige europäische Großstadt die ihre Wasserversorgung wieder zurück in die öffentliche Hand gebracht habe. Das zeige die Notwendigkeit des Wandels von Unten.
Wandel von Unten, dafür hallen die Rufe der Demonstranten zwischen den historischen Gebäuden Berlins.
von Dominik Schlett, Bilder von Reto Thumiger
Yanis Varoufakis: Ein griechischer Kämpfer nimmt die nächste Schlacht ins Visier
Seitdem er den Kampf um Griechenlands finanzielle Zukunft verloren hat, konzentriert sich Varoufakis auf ein anderes Anliegen: den Erhalt der Europäischen Union.
Die explosive Karriere von Yanis Varoufakis begann im Januar 2015 und endete weniger als sechs Monate später. Er trat als griechischer Finanzminister zurück, nachdem er seinen Chef, Premierminister Alexis Tsipras, des vollständigen Verrats – er nannte es „Kapitulation“ – gegenüber Griechenlands Kreditgebern bezichtigt hatte. Wie ein griechischer Mad Max blieb der damals berühmteste Finanzminister der Welt seinem theatralischen Stil treu, schwang sein Bein über seine leistungsstarke Yamaha und floh vor der Korruption und dem Zerfall in Athen mit einem Aufheulen des Motors.
Sein Abgang bedeutete das Ende des risikoreichen Spiels, das zu einem freiwilligen oder unfreiwilligen Austritt Griechenlands aus der Eurozone und möglicherweise der Europäischen Union hätte führen können. In Berlin und Brüssel feierten die Verhandlungspartner über das „Bailout“-Programm den Abschied des kämpferischen Varoufakis, der das vorgeschlagene dritte Rettungsprogramm und die damit verbundenen erdrückenden Sparmaßnahmen mit einem milderen Versuch der Schuldenrestrukturierung und wirtschaftlichen Reformen ersetzen wollte.
Während Varoufakis, jetzt etwas weniger berühmt, mit großen Schritten in das Restaurant Roof Garden im eleganten Hotel Grande Bretagne am Syntagma-Platz kommt – dem Ground Zero der Ausschreitungen und Proteste gegen das Sparprogramm, die Athen in den Krisenjahren regelmäßig in eine Kampfzone verwandelten – stelle ich mir zwei Fragen: Vermisst er das Drama mit einer Schlagzeile pro Minute, das ihn zu einem Superstar gemacht hat, und glaubt er, dass der Grexit – Griechenlands Austritt aus der Eurozone – noch immer möglich ist?
Die kurzen Antworten sind jeweils „nein“ und „ja“. Ich bin nicht sicher, ob ich seine Antwort auf die erste Frage glaube. Die zweite aber schon – der Grexit, der im letzten Jahr durch den Brexit, die Flüchtlinge und Donald Trump aus den Schlagzeilen gedrängt wurde, ist wieder in den Nachrichten. Aber später beim Mittagessen wird sich herausstellen, dass Griechenlands Schicksal für ihn jetzt nicht an erster Stelle steht – sondern das von Europa.
„Die Europäische Union befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls,“ sagt er. „Die übergeordnete Erzählung von Europa ist zersplittert. Die Menschen denken nicht mehr in Bezug auf Europa….Jeder hat eine unterschiedliche Geschichte und wenn man sie zusammenfügt, bekommt man ein Bild der Implosion“.
Er unterstreicht seinen Standpunkt, indem er das überschuldete Italien ohne Wirtschaftswachstum anführt, die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone, wo die in den Umfragen führende Partei, die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo, ein Referendum über den Euro fordert. „Jetzt steht der ‚Italexit’ zur Diskussion,“ sagt er. „Italien ist in der Eurozone nicht zukunftsfähig“.
Varoufakis kommt etwa 10 Minuten zu spät zu unserem Mittagessen, für griechische Verhältnisse fast ungewöhnlich pünktlich. Obwohl ich meine Brille nicht trage und in einem Separee am anderen Ende des Restaurants sitze, erkenne ich ihn schon von Weitem sofort an seinem rasierten Kopf und dem schwarzen Motorradhelm, den er dem Oberkellner reicht. Aus der Nähe wirkt er etwas kleiner, als ich erwartet habe (ich hatte ihn bisher nur in einer Menschenmenge gesehen). Bekleidet mit schwarzen Jeans, schwarzen Lederschuhen, einem dunkelvioletten Hemd und blau und braunem Schal, ist er im vollständigen Biker-Chic Stil. Genau wie bei Tsipras, der noch immer Premierminister ist, gehören Krawatten nicht zu seiner Garderobe.
Nur ein paar wenige Gäste im halbleeren Restaurant nehmen Notiz von ihm. Vor anderthalb Jahren wäre er umringt worden. Von unserem Tisch haben wir eine wunderbare Aussicht auf die Akropolis. Es hat die ganze Woche stark geregnet, aber an diesem Tag vor ein paar Wochen schafft es die Sonne, das Grau zu durchdringen. „Darf ich Yanis sagen?“ frage ich. „Ich bestehe darauf“, sagt er.
Varoufakis ist auf einer Wirbelwind-Tour, um für DiEM25 zu werben. Das steht für „Democracy in Europe Movement 2025“, ist aber auch ein Wortspiel mit dem lateinischen Spruch Carpe Diem – „nutze den Tag“. Ich sage ihm, dass ich mehr über DiEM erfahren möchte, aber erst will ich noch etwas über seine kurze Zeit als Finanzminister wissen.
Das Mittagessen ist einfach. Mein Gast bestellt Hühnersalat und ich entscheide mich für das Risotto mit Trüffel. Keiner von uns bestellt eine Vorspeise oder Wein, nur Mineralwasser. Zu meiner Überraschung sitzt Varoufakis mir nicht gegenüber, sondern genau neben mir, im 90-Grad-Winkel, als wären wir alte Freunde. Er ist höflich, spricht ruhig und erträgt meine Unterbrechungen bereitwillig – ich habe mehr Fragen als er Zeit hat.
Varoufakis, 55 Jahre alt und in Athen geboren, wurde von Syriza aus den akademischen Kreisen geholt, der linksradikalen Partei, die im Januar 2015 die Wahlen gewann und ein Mandat erhielt, um das von der Troika – EU, EZB und IWF – geführte Kredit-gegen-Sparmaßnahmen-Programm zu überarbeiten, das die Wirtschaft immer tiefer in die Rezession brachte. Varoufakis ist ein politischer Linker, der Volkswirtschaft studiert hat, und ein Unterstützer des African National Congress und der PLO. Er hat an einigen britischen Universitäten, der Universität Sydney und der University of Texas in Austin Volkswirtschaft unterrichtet.
Schon Jahre bevor Syriza als ernsthafter Anwärter auf die Regierung betrachtet wurde, schloss er Freundschaft mit Tsipras und wurde sein inoffizieller Berater in Wirtschaftsfragen. Aber noch bevor Syriza die Wahlen gewann und Varoufakis im Finanzministerium landete, hatte er keinen Zweifel daran, dass Griechenland bankrott war und dass mehr Rettungskredite zusätzlich zu alten Rettungskrediten es nicht weniger Pleite machen würden.
„Wir gingen von Ponzi-Wachstum (vor der Krise von 2008) zu Ponzi-Austerität über – Rettungskredite und strenge Sparmaßnahmen, eine wirtschaftliche Kontraktion nach der anderen“, sagt er. „Es war eine Situation, in der unhaltbare Schulden wieder und wieder verlängert werden mussten, und bei jeder Verlängerung wurden die Schulden mehr.“
Varoufakis sagt, er hatte ein „sehr festes Übereinkommen“ mit Tsipras, um die Notwendigkeit eines dritten Rettungsprogramms – „ein Alptraum-Szenario“ – zu eliminieren und durch eine Schuldenrestrukturierung zu ersetzen, die die Schulden gegen Schuldverschreibungen und Anleihen, die an das Wachstum des BIP gebunden sind, austauschen würde. Das neue Abkommen sollte eine Reihe von Maßnahmen beinhalten, um die Wirtschaft anzukurbeln – wie Steuersenkungen und eine „Bad Bank“, um die leidenden griechische Geldhäuser von notleidenden Krediten zu befreien. Außerdem wollte Syriza einen Primärüberschuss (der Haushaltsüberschuss nach Abzug der Schuldenzahlungen) von nicht mehr als 1,5 Prozent.
Was konnte schiefgehen? Sehr viel, wie sich herausstellte. Wer das Geld hat – in diesem Fall die Troika – macht auch die Regeln.
Was zu der Zeit nicht bekannt war: Varoufakis plante insgeheim die Schaffung eines elektronischen parallelen Zahlungssystems für den Fall, dass eine Konfrontation zwischen der Troika und dem griechischen Verhandlungsteam einen Bankenrun und die Schließung der Banken auslösen sollte.
Dieses System würde Rückstandskonten beim Finanzamt schaffen. Ein Steuerzahler könnte dann Bargeld an den Staat überweisen gegen einen Rabatt auf zukünftige Steuern. Im Falle z.B. eines Krankenhauszulieferers, dem der Staat Geld schuldet, könnten die Rückstände praktisch als Währung benutzt werden; der Zulieferer könnte einen Teil der Rückstände an seine eigenen Zulieferbetriebe überweisen.
Während die Pläne für dieses System gemacht wurden, wurde weiter das Katz-und-Maus-Spiel gespielt und beide Seiten waren sich darüber klar, dass das Endergebnis der Grexit sein konnte. Als die Verhandlungen feindseliger wurden und schließlich scheiterten, entschloss sich die EZB Ende Juni 2015, ihre Unterstützung der griechischen Banken nicht zu erhöhen und löste damit eine Finanzkrise aus.
Zu diesem Zeitpunkt wollte Varoufakis bei den von der EZB gehaltenen griechischen Schuldscheinen im Wert von 28 Milliarden Euro in Zahlungsverzug gehen und das Parallelsystem aktivieren – die nukleare Option sozusagen.
Er glaubte, dass die Troika nachgeben und davon absehen würde, Griechenland aus der Eurozone auszuschließen, obwohl es klar war, dass Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble Griechenland gerne hätte austreten sehen. Einmal sagte Schäuble, dass ein freiwilliger Austritt aus der Eurozone „vielleicht ein besserer Weg“ für Griechenland wäre als zu einem dritten Rettungsprogramm gezwungen zu werden.
Ich frage Varoufakis, warum er so sicher war, dass das kleine Griechenland die mächtige Troika besiegen könnte.
„Wissen Sie, warum? 1 Billion Euro, wie wäre es damit?“ sagt er. „Das hätte der Grexit die Eurozone gekostet. Wir haben 320 Milliarden Euro in Schuldscheinen. Es ist nicht so, dass wir keine Möglichkeit der Rückzahlung hätten, wenn wir den Euro verlassen. Dazu kommen die Target2-Verpflichtungen (Griechenlands Defizit im Zahlungssystem der Zentralbank). Plus alle Drittverzüge, öffentlich und privat, und die Schulden der Banken bei verschiedenen Institutionen in Europa und man kommt auf mindestens 1 Billion Euro. Glauben Sie also, die hätten das in Kauf genommen?“
Natürlich ist es unmöglich, das genau zu wissen, weil es die Syriza-Regierung und nicht die Troika war, die Panik bekam als die geschlossenen Banken drohten, die gesamte Wirtschaft zum Stillstand zu bringen. „Als wir an den entscheidenden Punkt kamen, bekam ich keine Erlaubnis, das Parallelsystem zu aktivieren“, sagt er.
Tsipras akzeptierte widerstrebend die neuen Bedingungen der Troika. Varoufakis trat am 6. Juli 2015 zurück – er besteht darauf, nicht hinausgedrängt worden zu sein – eine Woche nachdem die Banken geschlossen wurden (sie haben seitdem wieder geöffnet, aber einige Kapitalkontrollen in Form von Begrenzungen beim Geldabheben gibt es noch). Varoufakis machte einen letzten Versuch, bevor er ging. „Ich sagte dem Premierminister, ‚Sie haben gerade die Schlacht verloren und es wird sehr verhängnisvoll für dieses Land sein’“, sagt er.
Griechenland ist noch immer ein Chaos und ein Grexit steht nicht außer Frage, wenn das derzeitige Rettungsprogramm 2018 ausläuft. Es gibt auf beiden Seiten keinen großen Wunsch nach einem vierten Rettungsprogramm.
Varoufakis’ Sorge ist heute nicht nur das Wohlergehen Griechenlands. Er macht sich Sorgen über die Überlebensfähigkeit der EU und Eurozone nach dem Brexit. Tatsächlich steht die EU unter Druck. Marine Le Pen, Anführerin der fremdenfeindlichen Partei Front National in Frankreich (welche auch gegen die EU ist) könnte in diesem Frühjahr die Präsidentschaftswahlen gewinnen. In Italien könnte die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung, jetzt schon die größte Oppositionspartei, leicht die nächsten Wahlen gewinnen. Das große Projekt der europäischen Integration scheint tot zu sein. Die Herausforderung besteht darin, das, was noch übrig ist, mehr oder weniger intakt zu halten.
„Ich bin sehr proeuropäisch und ganz besonders besorgt über diese Situation. Grillo und le Pen wollen den Zerfall, sie schwelgen schon in der Erwartung davon,“ sagt Varoufakis. „Ich selbst bin entsetzt davon…Ich bin fest überzeugt, dass der Zerfall dieser furchtbaren Europäischen Union zu einer postmodernen Version der 1930er Jahre führen wird.“
Er startet DiEM25 Ende 2015 mit dem Ziel, der EU durch demokratische Prinzipien neues Leben einzuhauchen, aus Angst, dass die EU, in ihrer jetzigen Form, dazu bestimmt ist, zu einem von Technokraten regierten Superstaat zu werden, der Verordnungen erteilt und von der Troika unterstützt wird. Wenn DiEM25, dessen Beratungskollektiv Julian Assange, den Ökonom James Galbraith und den britischen Regisseur Ken Loach einschließt, an Dynamik gewinnt, schließt es Varoufakis auch nicht aus, DiEM25-Kandiaten bei Wahlen antreten zu lassen.
Ich frage ihn, warum die EU überhaupt bewahrt werden sollte. Warum nicht die Maschinerie in Brüssel abschaffen und zurück zu Nationalstaaten gehen, die nur durch einen gemeinsamen Markt verbunden sind?
„Weil wir die großen Probleme, vor denen wir stehen, nicht lösen können, es sei denn, wir sind als Europäer vereint“, sagt er. „Der Klimawandel kann nicht von einzelnen Staaten gestoppt werden. Verteidigung, vor allem in einer Welt nach Trump, die Flüchtlingskrise und die Flüchtlingsströme. Das alles verlangt eine vereinte Antwort.“
Varoufakis schließt das Ende der EU und der Eurozone nicht aus. Ich finde es etwas ironisch, dass er die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Frau, die auf den einschneidenden Sparmaßnahmen für Griechenland bestanden hat, als potentielle Retterin der EU betrachtet.
„Vieles hängt von Merkel ab“, sagt er. „Sie muss eine Rede der Hoffnung für Europa halten, mit einer Erzählung von Föderalismus mit einem Plan für ein vereintes Europa mit offenen Grenzen, das die Idee einer Flüchtlingskrise anfechtet. Das wäre sehr radikal für sie. Aber wenn sie eine Rede der Hoffnung halten würde, würde es eine bemerkenswerte Wende geben.“
Und damit schüttelte Varoufakis mir die Hand, griff nach seinem Helm und raste auf seinem Motorrad davon, zu seiner nächsten Schlacht.
Yanis Varoufakis: Die Europäer sollten von einem Sieg von Benoit Hamon bei den französischen Präsidentschaftswahlen begeistert sein
von Janis Varoufakis
In einem Fernseh-Talk mit anderen progressiven Politikern aus Frankreich stellte Benoît Hamon vor einigen Jahren den Kern unserer Schwierigkeiten in Europa kurz und knapp heraus: „Es gibt Regierungswechsel [in der EU], aber keine Änderung der Politik.“
Seitdem hat der Sozialist und frühere Bildungsminister politische Konzepte entwickelt, mit denen sowohl die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU als auch das europäische Projekt aus ihrer derzeitigen zerstörerischen sozioökonomischen Spirale befreit werden könnten.
Von seiner Forderung nach einem Grundeinkommen über seinen Vorschlag, humanitäre Flüchtlingsvisas einzuführen, bis zu seinen Ideen für ein repräsentativeres französisches Parlament verkörpert Benoîts Kandidatur die fortschrittlichen und demokratischen Werte, für die auch DiEM25 steht. Benoît gehört zu der wachsenden Zahl progressiver Europäer, die unser Konzept des „konstruktiven Ungehorsams“ als ein Mittel empfohlen haben, um positiven Wandel in Paris und Brüssel auszulösen. Wir alle sollten von der Aussicht, dass Benoît in den Elysée-Palast einzieht, begeistert sein.
Vor einigen Wochen führte ich mit Benoît ein offenes und freimütiges Gespräch in Paris. Seine progressiven Vorschläge würden wir aus Sicht von DiEM25 gerne noch genauer untersuchen (ich glaube zum Beispiel, dass Benoîts Plan für ein Grundeinkommen von unserem eigenen Vorschlag für ein universelles Recht auf Kapitaleinkünfte profitieren könnte). Aber ich war sehr erfreut über unsere Unterhaltung und über Benoîts Bereitschaft, sich mit uns zusammenzuschließen und bei unserem Vorhaben, eine progressive Internationale aufzubauen und die EU vor sich selbst zu retten, an führender Stelle mitzuwirken.
Die Medien haben häufig Benoîts Bewunderung für Muhammad Ali beschrieben – ein Poster des legendären Boxers und Aktivisten hängt in seinem Büro. Und ich finde das passt ziemlich gut zur aktuellen politischen Landschaft und zu den Kommentaren über Benoîts Chance, der nächste französische Präsident zu werden.
Bon courage, Benoît! Wie schon Ali sagte:
„Die Unmöglichkeit ist keine Tatsache. Sie ist eine Meinung. Die Unmöglichkeit ist keine Feststellung. Sie ist ein Wagnis. Unmöglich hat Potenzial. Unmöglich ist vorläufig. Unmöglich ist nichts.”
Foto: Libération
DSC Berlin auf dem Kongress der Europäischen Linken
380 Delegierte von 27 Mitglieds- und neun Beobachterparteien sind für den fünften Kongress der Europäischen Linken (EL) nach Berlin gekommen. Verbindend war die Sorge um Europa: Austeritätspolitik, wachsendes Prekariat, Aufschwung des Rechts-Populismus und höhere Militärbudgets für geopolitische Machtspiele, um nur ein paar der Sorgen zu nennen. Europa steckt knietief in der Krise und das nicht nur aus der Sicht von Linken. Bei der Frage: „Was tun?“, ist dann aber leider auch schon Schluss mit der Einigkeit.
Gregor Gysi, noch Fraktionsvorsitzender im deutschen Bundestag, wurde zum neuen Vorsitzenden der Europäischen Linken gewählt. Ohne Gegenkandidaten kann Gysi mit nur 68% der Stimmen nur eine knappe Mehrheit der Delegierten hinter sich wissen und die EL machte auch hier einen eher gespaltenen Eindruck.
Offiziell war DiEM25 natürlich nicht zum Kongress eingeladen. Durch „Die Linke“ bot sich allerdings die Möglichkeit mit einem Stand den Vorschlag unserer pan-europäischen Demokratiebewegung interessierten Delegierten und VertreterInnen darzulegen.
Trotz der in dieser Umgebung nicht ganz originellen roten Farbe, stach der DiEM-Stand doch deutlich heraus. Während dem dreitägigen Kongress wechselten sich 8 DSC-Mitglieder regelmäßig am Stand ab und strahlten eine entspannte und fröhliche Stimmung aus.
Carpe DiEM!
Französischer Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon lobt DiEM25
PARIS (FRANKREICH).- „Wir müssen nicht alles akzeptieren, was uns die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission auftischen“, sagte der frühere französische Bildungsminister Benoît Hamon nach einem gemeinsamen Mittagessen mit dem Mitbegründer von DiEM25, Yanis Varoufakis. „Es gibt einen dritten Weg“, fügte er hinzu, „einen Weg, an dessen Ausgestaltung Yanis Varoufakis beteiligt ist.“
Échanges avec @yanisvaroufakis sur la nécessité d'une alliance des progressistes européens. #ConvergencesSociales (1/2) pic.twitter.com/5rGU5FiZeT
— Benoît Hamon (@benoithamon) January 9, 2017
Hamon, neuer Star im Lager der Sozialisten und Unterstützer eines Grundeinkommens für alle Bürger Frankreichs, bewirbt sich bei der Vorwahl Ende des Monats um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei.
Der Mitbegründer von DiEM25 unterstrich die Notwendigkeit einer “Progressiven Internationale” als Gegengewicht zur „Nationalistischen Internationale“, die sich in Europa und darüber hinaus derzeit erfolgreich herausbildet.„Besonders empfänglich bin ich für das Konzept des konstruktiven Ungehorsams von Varoufakis“
„Besonders empfänglich bin ich für das Konzept des ‘konstruktiven Ungehorsams’ von Herrn Varoufakis“, sagte Hamon, der auch vor den Gefahren einer europaskeptischen Haltung warnte, wie sie seine linken Konkurrenten, Jean-Luc Mélenchon und Arnaud Montebourg, befeuern. „Es beginnt damit, dass wir die gemeinsame Währung in Frage stellen, morgen sind es dann die offenen Grenzen. Ich weiß nicht, wo das hinführen soll“, beklagte er.
Ein Abschied vom europäischen Projekt kann die Wähler, so Hamon, letztlich in in die Arme des rechtsextremen Front National treiben.
„Es ist wichtig zu wissen, dass beides möglich ist: europäische Zusammenarbeit und sozialer Fortschritt“, betonte Hamon.
Ähnlich erschienen auf:
Le Monde
Le Parisien
Le Journal du Centre
Brexit: Eine unorthodoxe Ansicht
Yanis Varoufakis, Srecko Horvat und Elif Shafak, Mitglieder des Coordinating Collective von DiEM25, werden über Großbritannien nach dem Brexit diskutieren. Moderiert von Owen Jones.
Ein in Schwierigkeiten geratenes Großbritannien ist dabei, eine gefährdete Europäische Union zu verlassen. Zerfall und Fremdenfeindlichkeit liegen in der Luft. Die Regierung in London ist aus den Fugen geraten. Aber das gilt auch für alle anderen Regierungen Europas, ganz zu schweigen von der Europäischen Kommission, deren Ansehen mehr und mehr gegen Null tendiert.
Die einzigen Kräfte, die überall an Stärke gewinnen, könnte man als nationalistische Internationale bezeichnen, die ihre aggressive Reichweite bis zu Trumps Amerika ausdehnt. Kriegerischer Nativismus ist im Aufstieg begriffen und wirbt für eine kaum verhüllte, weitreichende ethnische Säuberung. Sogar Teile der Linken erliegen den Argumenten für einen Rückzug in den Nationalstaat und strengere Grenzkontrollen.
Srecko Horvat, ein kroatischer Philosoph, Elif Shafak, eine bekannte türkische Romanschriftstellerin und Yanis Varoufakis, Griechenlands ehemaliger Finanzminister, geben diesem Gespräch eine faszinierende Perspektive. Als Intellektuelle, die Großbritannien gut kennen, verstehen sie sehr genau die Gefahren des Nationalismus, des Zerfalls, des Isolationismus und der sozialen Ausgrenzung. Sie werden Großbritannien nach dem Brexit in einen Kontext stellen, der durch Ansichten über Europa vom „anderen Ende“ des Kontinents geformt wird. Sie teilen Einblicke in Griechenlands angespanntes Verhältnis mit Brüssel und Berlin, den Zerfall Jugoslawiens und das angespannte Verhältnis der Türkei zu einem Europa, das sie gleichzeitig hofiert und ausgrenzt.
Moderiert von Owen Jones, einem leidenschaftlichen Kämpfer für ein anderes Großbritannien in einem anderen Europa, verspricht es ein Abend zu werden, der vielleicht das Vertrauen in Großbritanniens und Europas humanistisches und internationalistisches Potential wiederherstellt.
Ein Live-Event des Guardian:
Freitag, 27. Januar 2017, 20-21.30 Uhr
Central Hall Westminster, London, SW1H 9NH
Tickets hier.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause
Rollstuhlbenutzer und Besucher, die eine Hilfskraft benötigen, können kostenlos eine Begleitperson mitbringen. Um für diese ein Ticket zu buchen, schicken Sie bitte eine E-Mail an [email protected].
DiEM25 in Geert Wilders Hinterhof
In Maastricht fand der bisher größte Schritt zur europäischen Union statt, als der gleichnamige Vertrag von den Mitgliedsländern unterzeichnet und aus der Europäischen Gemeinschaft die Europäische Union wurde. Die Stadt mit seinen ca. 122‘000 Einwohner befindet sich ebenfalls inmitten des Hinterhofs vom Rechtspopulisten Geert Wilders und seiner EU-kritischen PVV.
Dass DiEM25 auf ein Spontaneous Collective in Maastricht zählen kann, ist größtenteils dem Einsatz der beiden Koordinatoren Dominik Leusder und Cihan Erkli und ihrem starken Engagement zu verdanken.
Dominik hat die Verhandlungen mit Griechenland während der Eurokrise aufmerksam verfolgt. Wie dabei mit Griechenland und seiner Bevölkerung umgegangen wurde, hat viel Frustration ausgelöst und den starken Wunsch geweckt, eine Alternative zu entwickeln. Da ist ihm noch bevor DiEM25 ins Leben gerufen wurde, Yanis‘ Buch „Mitten in der großen Krise – ein New Deal für Europa“ in die Hände geraten. Später hat er sich auf der Webseite von DiEM25 eingelesen. „Ich stellte fest, dass die Sprache so ganz anders war. Das Manifest hat es mir sehr angetan und ich wollte involviert werden. Ich spürte sowohl diese Wut als auch, dass diese Demokratie-Bewegung das Momentum auf ihrer Seite hat.“, teilte der Student in politischer Philosophie in einem Gespräch über Skype mit.
Er organisierte ein paar Treffen unter anderem zum Grundeinkommen und zum Brexit und hoffte so Leute zu finden, die ähnlich denken und empfinden. Es kamen auch mal bis zu 15 Personen, allerdings hauptsächlich internationale Studenten. „DiEM braucht eine solide Basis in Maastricht und darum wollte ich vor allem Leute finden, die in Maastricht leben und nicht nur bis zum Ende des Studiums bleiben.“, erläuterte Dominik.
Selber sein Studium abgeschlossen, wäre es nun Zeit für ihn gewesen, weiter zu ziehen. Wegen lokalen Gruppe hat er sich allerdings entschlossen, ein weiteres Jahr in Maastricht zu bleiben. Kräftig unterstütz dabei wird er von Cihan, der allerdings nach dem Putschversuch für längere Zeit in der Türkei weilte.
Maastricht ist klein uns sehr konservativ, nicht umsonst stammt Geert Wilders aus der Gegend. Bei den Begriffen ‚Revolution‘ und ‚Veränderung‘ fangen viele Maastrichter an zu lachen. In der ehemals wohlhabenden Stadt hat sich in den letzten Dekaden ein Prekariat gebildet, ungesicherte Arbeitsverhältnisse und Hoffnungslosigkeit herrschen vor. Der lokale Dialekt bildet eine zusätzliche Barriere im Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. „Gerade das neue Prekariat und in einer solchen Region muss in unsere paneuropäische Bewegung involviert werden“, betont Dominik nachdrücklich. Es sei aber auch ein neuer demokratischer Geist zu spüren und dass letzthin an einem verregneten Sonntagvormittag 20 Personen an einem Treffen teilgenommen haben, stimmt ihn zuversichtlich.
Um die Promotion kümmert sich Dominik praktisch alleine. „Wir finanzieren alles immer noch selber, das ist manchmal ein Problem. Zwar kann man die fehlende finanzielle Mittel mit Kreativität wegmachen aber nicht immer.“
Die Gruppe arbeitet zurzeit intensiv an den Strategiepapieren, über 20 Personen schreiben mit. Es ist eine Phase, wo man direkt Einfluss nehmen kann und es bindet die Leute ein. Angesprochen auf die interne Organisation von DiEM25 meint Dominik: „es gibt ein Mindestmaß an Koordinierung aber sonst können die DSCs innerhalb des das Manifest gesetzten Rahmens frei machen, was sie wollen. Nicht alles wird von oben gesteuert, und DiEM ist sehr transparent.“
DSC Maastrichts Erfolgsrezept ist, Leute direkt anzusprechen. Auf die Menschen direkt zugehen: „He komm doch ans Treffen…“ und es nicht bei sterilen und anonymen Einladungen über soziale Netzwerke belassen.
„Wenn es hier nicht lief, hat es mich aufgemuntert, dass DiEM25 an anderen Orten Erfolg hat und neue Leute dazukommen.“, schloss er seinen Bericht. Gemeinsamkeit macht stark, ist zwar eine Binsenweisheit, es kann aber in unserer atomisierten Gesellschaft nicht schaden, daran zu erinnern.
Übersetzung von Reto Thumiger, Pressenza
DiEMs Sunlight-Project als Initialzündung
von Dominik Schlett
Es war ein schmaler Grat den die junge DiEM-Bewegung vergangenen Samstag in Berlin bewanderte. Es sollte das erste deutschlandweite Treffen der Bewegung werden. Dabei drohte das Projekt aufgrund zeitlicher Engpässe zu scheitern. Erst wenige Tage zuvor wurde der Termin bekannt gegeben. Die Zeit im Nacken hieß es nun einen Veranstaltungsort finden, Ablauf planen, Redner integrieren und nicht zuletzt eine inhaltliche Positionierung zu finden. Fazit: wegweisend!
DiEM über den Dächern
Das lag nicht zuletzt an den Räumlichkeiten. Ein gläsernes Penthouse inmitten des roten Weddings allein ist schon eine Rarität. Gewärmt vom Sonnenlicht und inspiriert von den Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands gewann das Projekt sodann schnell an Fahrt. Und es hätte ebenso schnell wieder an Tempo einbüßen können, wenn die Initiativen und Ideen der Teilnehmer die Diskussionen nicht immer wieder befeuert, die eigenständige Gruppenarbeit nicht immer wieder inspiriert hätte. Und das mit einer hohen Symbolik.
So braucht DiEM keine Reichstagskuppel um vermeintliche Transparenz anzubiedern. Hier wurden Fragen direkt und unmittelbar von Yanis Varoufakis per Skype, oder von Vertreterinnen des Koordinierungskollektivs beantwortet. Die persönliche Nähe unter den Teilnehmern sowie die Gemütlichkeit der sonnendurchtränkten Zimmer sorgten damit für eine vertraute Atmosphäre. Entsprechend heiß her ging es dann beim Inhaltlichen.
Der Furz hat keine Nase
Um die zahlreichen Ideen in konkrete Handlungsvorschläge zu wandeln, musste das Brainstorming in konkrete Arbeit kanalisiert werden. Die Themen lauteten: Best Practices in DSC’s, Wirtschaft neu denken, Gender Equality, Öffentlichkeitsarbeit, Rebellische Städte und Inklusion neuer DSC’s. Niemand der fast fünfzig Teilnehmer wollte sich schonen. Entsprechend hoch war die Mobilität zwischen den Gruppen.
Für ein höheres Maß an Informationsaustausch wechselten die Teilnehmer deshalb ständig die Themenbereiche. So hatte jeder überall etwas beizutragen, aber niemals zu viel. Allzu vertraut sind solche politischen Redner, die gerne über das Ziel hinausschießen. Das wollte vermieden werden denn an diesem Tag ging es um Qualität und nicht Quantität. So kam niemand in den Genuss, sich selbst zu riechen.
Startklar im Sonnenlicht
Die Vertreterinnen der DSC’s, wie sie sich am 03. Dezember in Berlin eingefunden haben, hatten viele Fragen, Motivation und Willen mitgebracht. Sie wurden nicht enttäuscht. Das Fazit im abschließenden Plenum war durchweg positiv. Weitere Treffen wurden gewünscht, weitere Ideen konkretisiert, weitere Netze wurden gesponnen. Vor allem aber wurden Bekanntschaften geschlossen.
Und das ist es was jede Bewegung grundlegend auszeichnet: Menschen die sich untereinander zusammentun und etwas verbessern wollen. Unzufrieden sind, den Status Quo ablehnen, Hoffnung in ihr Miteinander legen und so vielleicht etwas ändern können, definitiv aber schon etwas geändert haben. Der Austausch allein hat ins dichte, nebulöse Netz politischer Komplexität zumindest für die Teilnehmer etwas Licht gebracht und sich für weiteres Handeln empfohlen.
Offener Brief an die Institutionen der EU #StopTheDeal
Wir unterstützen die Bemühungen, das schändliche EU-Türkei Flüchtlingsabkommen vor Gericht zu bringen, um das Leben eines Mannes zu retten und das von Millionen zu verbessern.
Besuch unsere #StopTheDeal Kampagnenseite um mitzumachen!
OFFENER BRIEF
Zu Händen: Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments
Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates
Robert Fico, EU-Ratspräsidentschaft
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission
Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft
Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik
Fabrice Leggeri, Frontex Direktor
Jose Carreira, EASO Direktor
6. Dezember 2016
Sehr geehrte Damen und Herren,
Am 29. November wurde dem Europäischen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage betreffend Herrn Shabbir Iqbal vorgelegt, einem Flüchtling der sich nach einer gefährlichen Reise gegenwärtig in Griechenland aufhält.
Die Nichtigkeitsklage fordert den Europäischen Gerichtshof auf, die Gesetzmässigkeit des EU-Türkei Abkommens vum 18. März zu prüfen, einschliesslich den Bestimmungen zur „Rückführung“ in die Türkei „aller regelwidrigen Migranten und Asylbewerber“ die nach dem 20. März 2016 auf den „grieschichen Inseln“ angekommen sind. Die Nichtigkeitsklage strebt die Aufhebung diese Abkommens in seiner Gesamtheit an.
Wir, die Unterzeichner, glauben, dass der Europäische Gerichtshof dieser Nichtigkeitsklage zustimmen muss, nicht nur aufgrund ihrer zugrundeliegenden soliden rechtlichen Begründung und der bekräftigenden Beweislage, sondern auch da es den Mitglieder des höchsten Gerichts der Union obliegt sicherzustellen, dass alle Gesetze und Abkommen zur Gänze mit Europäischem und Internationalem Recht übereinstimmen, formal und inhaltlich.
Die Nichtigkeitsklage stellt dem Gerichtshof eine simple Frage: Dient das EU-Türkei Abkommen seinem beabsichtigten Ziel „illegale Migration von der Türkei in die EU zu stoppen?“ Oder ist es vielmehr ein perverser und betrügerischer Mechanismus, der den Mitgliedsstaaten erlaubt ihre Verantwortung gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern an unseren Grenzen zu vernachlässigen, menschlichem Leben den Rücken zu kehren und den Grundgedanken auf dem unsere Gemeinschaft gegründet wurde, formal und inhaltlich, zu missachten?
Wir stellen Ihnen, den Vertretern der höchsten EU Institutionen, die selbe Frage und fordern Sie dazu auf einzuschreiten und dieses schändliche Abkommen sofort zu beenden.
Von allen Verfahren die dem Europäischen Gerichtshof vergelegt werden, könnte dieses vielleicht eines der entscheidensten sein: Der Entschluss wird weitreichende Konsequenzen für die Zukunft unserer Union und die Glaubwürdigkeit ihrer Insitutionen haben.
Deswegen drängen wir Sie dazu, unverzüglich zu handeln und dieses Abkommen zu beenden. Wir wenden uns an Sie, um die humanistischen Wurzeln der EU, sowie ihre Verpflichtung zum Respekt und Schutz der Menschenrechte aller Migranten, unabhängig von deren Status, zu erneuern. Wir ersuchen Sie unnötiges Leiden zu beenden, indem Sie handeln bevor der Gerichtshof Ihr bedauerliches Abkommen mit der Türkei aufhebt.
Unterzeichnet
Renata Ávila, Guatemalan human rights and technology lawyer
Walter Baier, Austrian economist
Anthony Barnett, British writer, founder of openDemocracy
Franco ‘Bifo’ Berardi, Italian writer, media theorist and media activist
Boris Buden, Croatian philosopher, translator and cultural theorist
Berardo Carboni, Italian director and scriptwriter
Nessa Childers, Irish MEP
Noam Chomsky, American linguist, Professor emeritus of linguistics, MIT
Cécile Duflot, French politician; former Minister of Territorial Equality and Housing
Brian Eno, English musician, visual artist and political activist
Marcelo Expósito, Spanish artist, political activist and MP
James K. Galbraith, American economist and author
Susan George, French-American global justice campaigner
Srećko Horvat, Croatian philosopher and political activist
Katja Kipping, chairperson, German Left Party
Lorenzo Marsili, Italian writer, political activist
David McWilliams, Irish economist, writer, broadcaster and journalist
Sandro Mezzadra, Italian writer and associate professor of political theory
Rasmus Nordqvist, Danish MP
Saskia Sassen, Dutch-American sociologist
Thomas Seibert, German philosopher, author, political activist
Richard Sennett, American sociologist, centennial professor of sociology, LSE
Elif Shafak, Turkish novelist, columnist, speaker and scholar
Cristina Soler-Savini, university research fellow, Paris
Barbara Spinelli, Italian MEP
Igor Stokfiszewski, Polish researcher, journalist and activist
Danae Stratou, Greek visual and installation artist
Yanis Varoufakis, economist and former Greek finance minister
Marie-Christine Vergiat, French MEP
Vivienne Westwood, British fashion designer, environmental activist
Agnieszka Wiśniewska, Polish activist, author
Slavoj Žižek, Slovenian-born philosopher and psychoanalyst
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