Editor’s Note: Der folgende Text wurde am Samstag, den 2. Januar 2021, von Heike Siecke aus Ulm als Rede auf einer Kundgebung in Frankfurt am Main gehalten, und richtet sich gegen die drohende Auslieferung Julian Assanges vom Vereinigten Königreich an die USA, wo ihn bis zu 175 Jahre Gefängnis wegen der Aufdeckung von Kriegsverbechen erwarten würden. Am 4. Januar wurde der US-amerikanische Auslieferungsantrag von einem britischen Gericht mit dem Verweis auf die unzumutbaren Haftbedingungen in den USA abgelehnt, was ironisch erscheint, weil Assanges aktuelle Haftbedingungen im Londoner Belmarsh-Gefängnis kaum weniger menschenfeindlich sind, wie die Rednerin es eindringlich beschreibt. Zudem hat das Gericht die Antragsbegründung der USA in der Sache nicht zurückgewiesen, und es somit vermieden, einen eindeutigen Präzedenzfall pro Pressefreiheit und für die Rechte von Journalist*innen und Verleger*innen zu setzen. Die US-Regierung hat Berufung eingelegt, und so entscheidet sich erst am Mittwoch, den 6. Januar, ob Assange schon vor der Klärung des Berufungsverfahrens auf Kaution frei kommt. Julian Assange ist Mitglied von DiEM25 und Teil des Beratenden Ausschusses. Die DiEM25-Petition gegen seine Auslieferung kann bereits über 130000 Unterschriften vorweisen.
Ich stehe heute hier in Frankfurt und seit einem Jahr gehen wir in Ulm auf die Straße, um auf das Schicksal Julian Assanges aufmerksam zu machen.
Warum?
Weil mitten im Herzen einer westlich demokratischen Wertegemeinschaft (wie sie sich selbst doch gerne nennt) ein Journalist zu Tode gefoltert wird.
Julian Assange hat sieben Jahre lang, in der ecuadorianischen Botschaft, keinen einzigen Sonnenstrahl abbekommen.
Julian Assange sitzt in Einzelhaft in einer zwei auf drei Meter großen Zelle. Von den ungefähr 600 Tagen, die er bislang im Guantanamo Englands verbringen musste, hat er einen Großteil der Zeit in Isolationshaft verbracht. Wissen Sie was das bedeutet? Wenn Julian Assange den Gang betritt, werden die Gänge leer geräumt; für einen Mann, der keines einzigen Verbrechens schuldig gesprochen wurde.
Im Oktober 2019 hat man Julian Assange stundenlang, im Vorfeld einer gerichtlichen Anhörung, in einen kleinen, dunklen, heißen Raum gesperrt. Der ehemalige britische Diplomat Craig Murray hat von der Anhörung Erschreckendes berichtet: Julian war kaum in der Lage seinen Namen zu nennen, er war sichtlich verwirrt, konnte nicht ins Licht sehen, war abgemagert, unkonzentriert und konnte konsequenterweise dem Geschehen im Gerichtssaal kaum folgen. Richterin Vanessa Baraitser war das egal. „Seine Anwälte könnten ihn über das Gesagte ja später informieren“, waren ihre Worte.
Die Anwälte, die sich gemeinsam mit seiner Familie eine Besuchszeit von vier Stunden teilen mussten, was im Nachhinein aus heutiger Corona-Verordnungs-Sicht als Luxus bezeichnet werden kann, denn Besuche waren im Frühjahr und sind seit November gestrichen. Diese Anwälte wurden regelmäßig, wegen angeblicher technischer Probleme, aus der Leitung geworfen, wenn sie ihr Recht auf das 10-minütige wöchentliche Telefonat wahrnehmen wollten. Wenn Julian dann seine Anwälte als Besucher empfangen wollte, war es keine Seltenheit, dass das Gefängnis vergessen hatte Julian zu holen. Bis dies nachgeholt wurde, waren von zwei Stunden Besuchszeit oft nur noch 30 Minuten übrig. Wir reden von genau den Anwälten, die ihn nach sechs Monaten erst wieder im Gerichtssaal persönlich sehen konnten. Dort durfte er nämlich sechs Meter hinter ihnen seinen Platz einnehmen; hinter Panzerglas!
Während dem ersten Teil der Auslieferungsanhörung im Januar wurden Assange direkt nach dem ersten Prozesstag die Unterlagen seiner Anwälte beim Verlassen des Gerichtsgebäudes abgenommen. Er wurde, in der Nacht vom ersten auf den zweiten Prozesstag, elf mal in Handschellen gelegt, drei mal einer Ganzkörpervisite unterzogen und in fünf verschiedenen Zellen untergebracht.
Dieser inzwischen kranke Mann, wurde während dem zweiten Teil der Auslieferungsanhörung jeden Morgen um 5 Uhr geweckt und geröngt, als ob er je die Chance gehabt hätte, irgendetwas aus dem Hochsicherheitsgefängnis, in dem er sitzt, herauszuschmuggeln.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen, wurde kurz vor Beginn der Anhörung der Zugangslink zur Prozessbeobachtung deaktiviert. Christian Mihr, Vorsitzender von Reporter ohne Grenzen äußerte, dass er noch nie mit solchen Restriktionen bei Prozessbeobachtungen zu kämpfen hatte; weder in der Türkei, noch in Syrien.
Julians bis dato bester Freund im Gefängnis, ein Brasilianer, wurde im November 2020 tot in seiner Zelle aufgefunden.
Derzeit wird von den Anwälten und von seiner Verlobten berichtet, dass die Heizung im HMP Belmarsh nicht ordentlich funktioniert, Julian aber auch keine adäquate Kleidung zur Verfügung gestellt bekommt. Er versucht sein Zellenfenster mit Büchern zu isolieren, weil er nachts so friert. „Das Foltern Großbritanniens geht weiter.“ Schreibt sein Anwalt Juan Passarelli am 31.12.20.
Nun sprechen wir hier nicht über irgendeinen Journalisten, was bereit mehr als schlimm wäre. Aber wir sprechen vom bedeutendsten Journalisten unserer Zeit, der neben vielen journalistischen Auszeichnungen, diverse Friedenspreise verliehen bekam und dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert war.
All das wäre Grund genug, jeden Tag für Julian Assange auf die Straße zu gehen.
Es gibt aber weitere Gründe. Beispielsweise, dass der ehemalige CIA-Chef und jetztige US-Außenminister Michael Pompeo Wikileaks als „feindlichen Geheimdienst“ bezeichnet. Wir alle wissen: Wikileaks veröffentlicht Dokumente über Verbrechen korrupter Konzerne und Regierungen. Für wen? Wer ist der Feind, für den dieser Geheimdienst arbeitet? Wir sind das. Die Völker dieser Erde. Das einfache Volk. Wir sind die Feinde des Establishments. Unsere Regierungen und die eigentlich mächtigen Geldgeber dahinter, haben Angst vor Menschen wie Julian Assange, die ihre Machenschaften ans Tageslicht bringen. Wenn dies aber nicht passiert, müssen Menschen dafür bezahlen, mit unsagbarem Leid und mit ihrem Leben, wie uns auch die Wikileaks-Bilder aus dem Irak und aus Afrika deutlich vor Augen führen. Wir können keine demokratischen Entscheidungen treffen, wenn wir nichts von der Barbarei der Mächtigen wissen.
Der Einsatz für Julian Assange, ist also nichts anderes als der Einsatz für Demokratie, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit weltweit.
Oder wie die berühmte englische Modeschöpferin und Aktivistin Vivienne Westwood, sagt: „Julian Assange ist meine Priorität. Er ist der Schlüssel zu allem. Wir stehen einer globalen Mauer aus Regierungskorruption gegenüber: politisch, wirtschaftlich und juristisch. Julian Assange ist das trojanische Pferd. Wenn wir es schaffen, ihn zu befreien, wird das ein Loch in die Betonwand reißen und die Regierungen werden damit beginnen müssen, auf die Menschen zu hören und in ihrem Interesse zu handeln.“
Deshalb: Freiheit für Julian Assange!
Heike Siecke
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