Die Ironie, dass am 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen in zwei Bundesländern eine völkisch-nationalistische Partei mit etwa einem Viertel aller Stimmen massive Zustimmung erfährt, war ein trockener Schlag in die Magengrube am Sonntagabend.
Es ist allerdings festzustellen, dass dieser Schlag absehbar gewesen ist. Dabei lohnt es sich einmal kurz über den einseitigen Fokus auf die AfD hinauszugehen, da die Gründe für den großen AfD Zuspruch nur zum Teil bei ihrem eigenen Wirken zu finden sind. In Sachsen haben Jahrzehnte der CDU-Politik ihre Spuren hinterlassen und sich letztendlich in den Ergebnissen der sonntäglichen Landtagswahlen gezeigt.
Mit 10,4% lag die DIE LINKE deutlich unter den Wahlprognosen und hat im Vergleich zur Landtagswahl 2014 über 8% verloren. Auch in Brandenburg büßte DIE LINKE knapp 8% ein. Das selbstgesetzte nächste „Etappenziel“ der AfD als stärkste Kraft in den Landtag einzuziehen ist weder in Brandenburg noch in Sachsen gelungen, doch mit 23,5% in Brandenburg und 27,5% in Sachsen hat die AfD auch so demonstriert, dass sie sich als feste Größe im Parteiensystem etabliert haben. Stärkste Kraft blieb in Brandenburg die SPD mit 26,2% und in Sachsen die CDU mit 32,1%, doch beide Parteien haben Verluste im Vergleich zur vorherigen Landtagswahl zu verzeichnen. Auch wenn die Grünen für ihre Verhältnisse ein relativ gutes Ergebnis erzielt haben (Brandenburg: 10,8%; Sachsen: 8,6%), bleibt die bittere Erkenntnis, dass die einzige Wahlgewinnerin die AfD ist, eine völkisch-nationalistischen Partei mit Öffnung zum Rechtsextremismus.
„Der Osten“ und die politische Lage in eben diesem waren in den letzten Wochen vor der Wahl in vielen Schlagzeilen zu finden. Neben einer oft unterschwelligen Exotisierung des Ostens bezogen sich sämtliche Berichte auf das Erstarken der AfD und einen Rechtsruck. Die Wahl hat noch einmal mehr gezeigt, dass die AfD besorgniserregend viel Zustimmung findet und doch handelt es sich hierbei nicht um ein plötzliches „ruckartiges“ Phänomen, wie es etwa die Begrifflichkeit des „Rechtsrucks“ nahelegt. Ganz im Gegenteil hat sich das gestrige böse Erwachen in Sachsen über Jahre hinweg abgezeichnet. Linke Politiker*innen und Aktivist*innen warnen bereits seit Jahren vor zunehmenden neonazistischen Tendenzen, nur um von staatspolitischer Seite aus mit einer Verharmlosung rechter Dynamiken konfrontiert zu werden.
Sachsens schwarze Politkarriere begann mit Kurt Biedenkopf, der erste Ministerpräsident nach 1990. „König Kurt“, eine Name der sich im Laufe der 12 Jahre Ministerpräsidentschaft durchsetzte, ließ verlauten, dass Sachsen „immun“ gegen Rechtsextremismus sei. Die jahrelange Blindheit gegenüber einer Dynamik nach rechts führte dazu, dass sich rechte Netzwerke im Freistaat Sachsen gut etabliert haben, mit dem NSU als wohl prominentestes Beispiel.
Auch im Bereich der Arbeitnehmer*innenrechte geschah wenig und so ist Sachsen heute das Bundesland mit den niedrigsten Tarifbindungen. So sind in Sachsen nur etwa 15% der Betriebe an Tarifverträge gebunden, wohingegen es in den übrigen ostdeutschen Bundesländern etwa 20% sind, und 29% in Westdeutschland. Paradoxerweise weist Sachsen laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) eine relativ günstige Wirtschaftsstruktur auf und müsste dementsprechend eigentlich eine höhere Tarifbindungen vorzeigen können. WSI-Expert*innen schlussfolgern, dass die niedrige Tarifbindung demnach nicht durch strukturelle Faktoren zu erklären ist, sondern eher an politischen Rahmenbedingungen festzumachen sei. „König Kurt“, der vorderrangig ebendiese Rahmenbedingungen geschaffen hat, entthronte sich 2002 selbst, doch Sachsen behielt auch weiterhin eine CDU-Regierung bei.
Vor allem bei rechtskonservativen Wähler*innen zählen Migration und Sicherheit zu den am stärksten polarisierenden Themen. Die Diskrepanz zwischen realer und gefühlter Unsicherheit kann oft groß sein, und muss deswegen politisch thematisiert werden. Allerdings wurde in den letzten Jahren beständig auf das Gegenteil einer de-eskalierenden Politik gesetzt, die ein offenes und inklusives Miteinander fördern würde. Auflagen für Asylbewerber*innen wurden durch die sächsische CDU verschärft und damit rassistischer und menschenfeindlicher Stimmungsmache Folge geleistet. Auch im Bereich der Sicherheitspolitik hat die CDU-geführte Staatsregierung mit der Verschärfung des Polizeigesetzes ihre Mittel gegen eine engagierte Zivilgesellschaft eingesetzt. Die Videoüberwachung und die polizeiliche Ausstattung wurden deutlich erhöht. Der Spielraum zur Auslegung des Gefahrenbegriffs wurde so erweitert, dass praktisch jede*r als sogenannte*r Gefährder*in eingestuft und dementsprechend überwacht werden kann. Dies zeugt von einem tiefen Eingriff in die Grundrechte, der eigentlich so nicht stattfinden darf und trotzdem unter CDU Regierung beschlossen wurde.
Angesichts dieser Politik der vergangenen Jahre, tut es weh zu hören, wenn manche Menschen bei diesem Wahlergebnis aufatmen, da eine AfD „immerhin“ nicht stärkste Kraft geworden ist. In den vergangenen Monaten haben Mitglieder der CDU, so wie etwa Sachsens CDU-Fraktionschef Christian Hartmann, immer wieder mit der Option auf eine Koalition mit der AfD geflirtet. Wenn eine solche Koalition bereits von einer MDR-Moderatorin als eine „bürgerliche“ Koalition bezeichnet wird, ist es endgültig unmöglich geworden die Diskursverschiebung nach rechts zu leugnen. Statt offiziellem Koalieren, wird auch eine Minderheitsregierung in Erwägung gezogen; letztendlich eine Tolerierung der CDU durch die AfD. So oder so sieht es dunkel aus, was Sachsens zukünftige Politik angeht, denn eine schwarz-blaue Zusammenarbeit ist wahrscheinlicher denn je. Werner J. Patzelt, welcher seit seinem Eintritt in die CDU 1994 in beratender Funktion für ebendiese tätig ist, geht bereits seit mehreren Jahren mit bestem Beispiel voran und pflegt gute Kontakte zum AfD Milieu und hält mit großer Regelmäßigkeit Vorträge bei AfD-Veranstaltungen.
Spätestens in ein paar Wochen, vermutlich sogar eher Tagen, wird sich die alarmistische Berichterstattung wieder erschöpft haben und ein Großteil der Menschen, die nicht in Sachsen oder Brandenburg leben, das Wahlergebnis bereits wieder vergessen haben. Es bleibt trotzdem zu hoffen, dass die Wahl als Zwischenergebnis eines ernstzunehmenden Problems ein Weckruf für einige darstellt und der gemeinsame Kampf gegen faschistische Strukturen und für ein solidarischeres Sachsen, Brandenburg, Deutschland und letztendlich Europa nun noch stärker geführt wird.
Verfasst von Annika Joy Stange, DSC Leipzig
Quellen:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1125092.landtagswahl-in-sachsen-langer-atem-fuer-eine-echte-veraenderung.html?fbclid=IwAR31WGBpK_aPZDfF3qZQezWLNAoqgqejVoo8itMaNjiLm9EoWmd3YAUN78k
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/wahlanalysen/WNB_2019-09-01_LTW19_BB-SN.pdf
https://jungle.world/artikel/2019/34/saechsische-verhaeltnisse?page=all
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/christian-hartmann-cdu-fraktionschef-sachsen-afd-koalition
https://taz.de/Wahlen-in-Sachsen-und-Brandenburg/!5622168/
https://www.berliner-zeitung.de/politik/sender-zur-stellungnahme-genoetigt-mdr-moderatorin-empoert-mit-afd-aussage-33101970
https://www.boeckler.de/117819_120039.htm
Foto:
Marco Verch – Wahlurne: Landtagswahl Sachsen 2019, CC-BY
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