Ein Kommentar von Jan Henning Klasen
Von Berlin nach Brüssel
Ursula von der Leyen, die – nun ehemalige – deutsche Verteidigungsministerin, wurde als Präsidentin der Europäischen Kommission vorgeschlagen – und am Ende auch gewählt.
Ein Vorschlag der großen Unmut nicht nur bei ihren politischen Widersachern hervorgerufen hatte, sondern auch bei denen, die eigentlich ihren politischen Überzeugungen sehr nahe stehen müssten. Das hat viele Gründe: Sie gilt einigen als „schlechteste Ministerin“ – ungeachtet dessen, dass eine Ministerin nicht alleine arbeitet und das selbe Personal sicher in vielen Fällen auch unter ihren Vorgängern abeitete. Ohnehin musste sie nicht zuletzt auch vieles ausbaden, was ihre Amtsvorgänger bereits zu verantworten gehabt hätten und gab auch sonst oft kein souveränes Bild ab: G36-Skandal, Berateraffäre, Drohnenfiasko. Erst übte sie Kritik am gefühlten Rechtsruck der Truppe vor dem Hintergrund von rechtsextremen Umtrieben, dann ruderte sie wieder zurück. Belächelt wurden zudem ihre Anstrengungen das deutsche Militär zu einem familientauglicheren, beliebteren Arbeitgeber zu machen – von moderneren Stuben bis hin zu Kitaplätzen.
Ein Affront gegen das Parlament
Das schwerwiegendste Manko ihrer Bewerbung ist allerdings ein ganz anderes: Sie war kein Spitzenkandidat.
Im Europaparlament galt es als breiter Konsens, dass die Fraktionen vor der Europawahl ihre Spitzenkandidaten aufstellen und mit ihnen in den Wahlkampf ziehen. Nach der ist Wahl plötzlich alles anders: Ursula von der Leyen soll es machen und nicht etwa Manfred Weber, der Spitzenkandidat der EVP. Untragbar für alle, die das Spitzenkandidatenprinzip als ersten Schritt in einer zögerlichen Demokratisierung des Brüsseler Apparates gesehen hatten.
Doch von der Leyen gibt sich nicht geschlagen, will mit Lippenbekenntnissen die Kritiker milde stimmen, um vielleicht doch am Ende noch gewählt zu werden – was sie dann ja auch geschafft hat. Die Zeichen der Zeit – so scheint es zumindest auf den ersten Blick – hat sie erkannt, bietet in Gesprächen mit den verschiedenen Fraktionen immer wieder Vorschläge an und gibt sich kompromissbereit.
Green Deal als Mogelpackung
Ihr jüngstes Versprechen: einen Green Deal für Europa. Unter ihr als Präsidentin soll es einen Fond geben, der vor allem die wirtschaftlich schwächeren Länder der Union bei den Anstrengungen eines grünen Wandels zur CO2-Neutralität unterstützen soll. Ein Angebot sicher auch an hunderttausende Demonstranten in ganz Europa. Extinction Rebellion und die Fridays For Future-Bewegung zeigen ihre Wirkung. Alles in Ordnung also? Sollten die, die den Kampf gegen die Klimakrise als wichtigste Herausforderung der nächsten Dekaden ansehen, also Ursula von der Leyen und ihren Green Deal für Europa unterstützen?
Nein. Denn was aufbauend klingt, ist in Wirklichkeit nur Augenwischerei. Von der Leyen schlägt vor in den nächsten zehn Jahren eine Billionen Euro zu investieren – bei weitem nicht genug. Für die ökologische Wende bräuchte es mindestens das Zehnfache.
Sicher ist es ein Schritt in die richtige Richtung, der vom eigentlichen Spitzenkandidaten Manfred Weber so wohl nicht zu erwarten gewesen wäre. Aber die Antwort darauf, wo die Differenz herkommen soll, bleibt auch die erste Frau an der Spitze der Kommission schuldig.
New Deal heißt echte Veränderung
Beschreibend auch, dass – anders als in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo sich mit dem Sunrise Movement eine Bewegung aufgetan hat, die Kongressabgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez zu ihren Unterstützern zählen kann – man hier eben nicht von einem Green New Deal spricht. New Deal nämlich bedeutet in der englischen Sprache soviel wie „Neuverteilung der Karten“ – und eben das hatte Franklin D. Roosevelt mit seinen Wirtschafts- und Sozialreformen in den 1930er Jahren in den USA versucht.
Immerhin, irgendwie ehrlich ist es schon: von der Leyen will eben gar keinen Systemwandel, keine Abkehr von der absurden Idee des unendlichen Wachstums. Fast kindisch scheint sie stattdessen daran festzuhalten, dass man sich sicher mit der Natur irgendwie einigen kann – ebenso wie das mit dem Parlament funktioniert – indem man einen grünen Deal macht, welcher der Aufgabe aber von vornherein nicht gerecht wird und die Probleme deshalb auch nicht lösen kann.
Der echte Green New Deal für Europa
Wenn wir also wirklich die Klimakrise abschwächen wollen, müssen wir auch die Karten neu mischen – denn gegen die Interessen der ärmsten Länder Europas, wird der dafür nötige Wandel nicht zu vollziehen sein – und ein klimaneutrales, nachhaltiges Europa alleine reicht zum Lösen der globalen Krise leider noch lange nicht.
Die Kampagne für einen Green New Deal für Europa fordert daher einen ökologischen und wirtschaftlichen Wandel auf Basis von zehn tragenden Säulen:
- Das Vorhaben muss der Herausforderung entsprechen
Der Green New Deal für Europa stellt sich dem Ausmaß der Herausforderung und investiert jedes Jahr mindestens fünf Prozent des europäischen BIP in den Übergang zu erneuerbaren Energien, in die Umkehrung des Verlusts der biologischen Vielfalt und den gemeinsamen Wohlstand aller europäischen Bürger – 100 Milliarden pro Jahr, wie von von der Leyen veranschlagt, reichen eben nicht aus. Des weiteren brauchen wir aber nicht nur erneuerbare Energien, sondern müssen auch andere grundlegende Veränderungen vornehmen. Es braucht auch die Transformation unserer Produktions-, Konsum- und Sozialsysteme.
- Ungenutzte Ressourcen müssen verwendet werden
Wir schlagen vor, dass die Europäische Investmentbank grüne Anleihen ausgibt – so können ungenutzte Sparguthaben, der wirtschaftlich besser Gestellten sinnvolle Investitionen tragen und Rendite für ihre Besitzer einbringen. Denn klar ist: die Vermögenden in Europa stehen derzeit einem grünen Wandel nicht zuletzt deswegen im Weg, weil sie durch ihre Investments vom Status Quo profitieren. Wenn wir diesen Interessenkonflikt durchbrechen, ist der Wandel auch am oberen Ende der Einkommensverteilung sozial-verträglich umsetzbar. Auch Investitionen der europäischen Zentralbank, die mit Programmen wie Quantitative Easing Anleihen aufkauft, sollten ausschließlich in grüne Anleihen fließen – so nutzen wir Geld, das wir ohnehin verbrannt hätten, endlich sinnhaftiger.
- Demokratische Teilhabe der Bürger an den Maßnahmen
Wenn man über den Köpfen der Bürger hinweg entscheidet, dann regt sich Widerstand – da kann die Entscheidung noch so sinnvoll sein. Menschen haben ein berechtigtes Bedürfnis danach über ihr Leben mitzuentscheiden. Bitter genug, dass das Geschacher um die Posten in Brüssel an Bürgerbeteiligung nicht ärmer sein könnte – wie sich in dieser Wahlperiode wieder einmal eindrucksvoll gezeigt hat. Bei den Anstrengungen um eine nachhaltiger organisierte Wirtschaft werden die Völker Europas diese Fehlstellung allerdings nicht hinnehmen können. Natürlich bedeutet ein Wandel auch einmal in der Minderheit zu sein, nicht alles so haben zu können, wie man das gerne hätte. Veränderung ist und bleibt unbequem. Aber da wo Gestaltungsfragen sind, da sollte man die gestalten lassen, die sich am besten auskennen – die Bürger in ihren Dörfern, Städten, Gemeinden und Kommunen.
- Sichere, gute Arbeitsplätze
Die Abwicklung ganzer Industrien – so hart muss man das schon sagen – wird einige Arbeitsplätze kosten – Kohle als Energieträger hat keine Überlebenschancen. Sicher werden tendenziell mehr Arbeitsplätze in der Photovoltaik und der Windindustrie anfallen, doch auch vor dem Hintergrund der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung muss klar sein: Deckungsgleich wird das nicht. Viele Menschen definieren sich selbst nicht zuletzt durch ihre Arbeit und Aufgabe. Deshalb braucht es gute und sichere Arbeitsplätze.
- Anhebung des Lebensstandards
Der Kampf gegen den Klimawandel bedeutet für jeden von uns auch den etwaigen Verzicht oder die Einschränkung von teuer erkauften Freiheiten: dem Langstreckenflug in den Urlaub beispielsweise sollte man entsagen. Trotz solcher Entbehrungen kann eine Veränderung unserer Art zu Wirtschaften für uns alle die Lebensqualität merkbar anheben. Damit es Unterstützung für die unbequemeren Veränderungen gibt, muss das auch zwingend der Fall sein.
- Gleichheit festschreiben
Wir leben in der Europäischen Union in erschreckend ungleichen Verhältnissen. Sowohl Ungleichheit zwischen einzelnen Ländern, als auch innerhalb der Mitgliedstaaten – sowohl zwischen Regionen, als auch Bevölkerungsgruppen – existiert und scheint jedes Jahr weiter zu wachsen. In den meisten Ländern zeigt sich dieses Bild: die Reichen werden reicher, die Armen ärmer und der Mittelstand verschwindet zusehends. Der Green New Deal geht gegen eine Dynamik der Ungleichheit an und schafft eine solidarische Gesellschaft für alle Europäer – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder dem Alter.
- In die Zukunft investieren
Um eine Vision umzusetzen, ist man nicht nur eine Antwort auf die Frage schuldig: „Wo gegen bist du?“, sondern muss auch sagen, wie eine bessere Welt aussehen kann und wie man dorthin gelangt. Der Green New Deal für Europa ist mehr als ein Reformprogramm für die Umwelt. Er ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaften und eine Gelegenheit, sie neu zu denken – kürzere Arbeitstage mit inbegriffen.
- Das Dogma des endlosen Wachstums beenden
Unendliches Wachstum kann es nicht geben – nicht in einer Realität, wo uns die Natur Grenzen setzt. Daher müssen wir endlich anders denken. Wachstum und ein steigendes BIP sind ohnehin keine guten Indikatoren für ein zufriedenes Leben.
- Klimagerechtigkeit auf der ganzen Welt
Global denken und global handeln! Kein Mensch ist eine Insel. Der Glaube, eine globale Krise alleine lösen zu können, ist fehlgeleitet. Auch ist es falsch, die von Leugnern der Klimakrise angeführte Kritik an jeder noch so vorsichtigen Energiewende ins Feld geführten Argumente, zu übernehmen: „Wir machen ja nur x% der globalen Emissionen aus, das ist doch kaum was verglichen mit [hier Land einfügen].“ Vielmehr müssen wir dem Rest der Welt mit Rat und Tat zur Seite stehen, damit unsere Anstrengungen nicht ein Tropfen auf den heißen Stein sind.
- Sofort handeln
Es muss sofort losgehen – keine Absichtserklärungen und kein Herumgewinde. Kein Pillepalle mehr. Nur wenn wir allen zehn Säulen gerecht werden, ist die Klimakrise zu stemmen. Mit Augenwischerei, Absichtserklärungen, warmen Worten und kleinen Taten kommen wir nicht weiter. Die Mogelpackung reicht nicht – es wird höchste Zeit für echte Veränderung!
Jan Henning Klasen ist angehender Journalist und DiEM25-Mitglied aus Köln am Rhein.
[ DiEM25 unterstützt die Kampagne für einen Green New Deal für Europa | gndforeurope.com ]
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