Als Europäer*innen müssen wir uns im Angesicht von Moria schämen
Es war unvermeidlich. Die Inhaftierung von zwölftausend Flüchtlingen im Gefangenenlager in Moria auf der Insel Lesbos führte zu einer weiteren Tragödie. Unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt, löste die Nachricht von 35 positiven Tests einen Aufstand aus. Die einzige Möglichkeit die Tore ihres Freiluftgefängnisses aufzubrechen, bestand für einige darin, das schreckliche Lager in Brand zu setzen. Jetzt gibt es Moria nicht mehr. Die zwölftausend Flüchtlinge haben keine Zelte, aber zumindest müssen die Behörden jetzt handeln.
Moria ist eine Anklage gegen die Europäische Union. Es ist eine Anklage gegen die griechischen Regierungen, die es gebaut und in ein Gefangenenlager verwandelt haben. Und es ist eine Anklage gegen Angela Merkels menschenverachtendes Abkommen mit Präsident Erdogan, das Flüchtlinge instrumentalisiert. Die Europäer*innen müssen sich angesichts der Geschehnisse in Moria schämen. Zumindest gibt uns dieses Feuer eine Chance, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.
MeRA25, die Partei ‘DiEM25’ im griechischen Parlament, hat seit Jahren konkrete Vorschläge gemacht. Heute werden wir dies wieder tun. Ihre Kernaussage ist einfach: Keine Gefangenenlager mehr. Keine Reisebeschränkungen mehr für Flüchtlinge und Migranten von den griechischen Inseln auf das Festland. Sehen Sie sich die folgenden Stellungnahmen an.
Unsere Pressemitteilung vom 2. März 2020
DiEM25 verurteilt die Militarisierung an der griechisch-türkischen Grenze, die Verletzung jedes Grundsatzes des Humanität durch die Europäische Union, die Instrumentalisierung der Flüchtlinge sowohl durch das türkische Regime als auch durch Brüssel, die Selbstaufgabe der griechischen Inselbewohner – die Liste ist endlos.
DiEM25 ruft zu einer sofortigen Öffnung aller Grenzen auf, der griechisch-türkischen und, noch wichtiger, aller Grenzen innerhalb der EU. Nur so kann die humanitäre Krise vernünftig und menschlich bewältigt werden, ohne unter einer Wolke der Hysterie auf militärische Lösungen zurückzugreifen.
MeRA25 ÜBER DIE LAGE AN DER GRIECHISCH-TÜRKISCHEN GRENZE
Ein Virus und die unvermeidliche Eskalation des Flüchtlingszustroms aus der Türkei reichten aus, um die Fremdenfeindlichkeit zu verstärken und die rechte griechische Regierung zu veranlassen, eine groß angelegte Kampagne zur Verunsicherung der öffentlichen Meinung Griechenlands zu starten – um so zu verschleiern, dass der viel verkündete wirtschaftliche Aufschwung nur eine Fata Morgana war, angesichts des anhaltenden Troika-Programms bestehend aus Angriffen auf die Arbeitskräfte, Austeritätspolitik und Notverkäufen von öffentlichen Eigentums.
Die Angst vor den Anderen, seien es die Chinesen oder die Flüchtlinge, wird instrumentalisiert, so dass das griechische Volk nicht mehr die wahren Gründe für seine anhaltende Erstickung erkennen kann – die anhaltende Kapitulation vor der Troika-Politik und die permanente Unterwerfung unter die irrationale und unmenschliche Flüchtlingspolitik der EU, die EU-Türkei-Beziehungen, die Beziehungen zwischen der EU und Libyen usw.
Ja, die COVID-19-Epidemie gibt Anlass zur Sorge. Ja, die Ausbeutung von Flüchtlingen durch den türkischen Präsidenten Erdogan im Rahmen seines geostrategischen Glücksspiels (d.h. das Variieren der nach Griechenland durchzulassenden Flüchtlinge mit dem Ziel, den Druck auf die EU zu erhöhen sich in Syrien auf seine Seite zu stellen) stellt eine Verletzung grundlegender Menschenrechte dar. Weder COVID-19 noch die Flüchtlinge rechtfertigen aber die grundlose Hysterie, die das griechische, von der Troika geführte, Regime kultiviert, um sich seiner Verantwortung für die jahrzehntelange Erstickung des griechischen Volks zu entziehen.
MeRA25-DiEM25 wird nicht zulassen, dass diese neue nationalistische Troika-Allianz unserem Volk Sand in die Augen streut und die Fremdenfeindlichkeit verstärkt – was letztlich nur dazu führen wird, dass sich die Lage der Griechen verschlechtert und Griechenland seiner Fähigkeit beraubt wird, an die Fortschrittlichen in der ganzen Welt zu appellieren.
MeRA25-DiEM25 wird es der griechischen Regierung nicht erlauben, den rassistischen Narrativ der “Goldenen Mörgenröte – die Griechische Lösung” zu legitimieren, welcher die glücklosen Flüchtlinge als “organisierte Invasionstruppe” darstellt, der sich die “heldenhafte” griechische Regierung an der griechisch-türkischen Grenze entgegenstellt.
Wie schon bei der Wirtschaftskrise in 2010 zeigt sich nun durch die Flüchtlinge und COVID-19 , wie lächerlich die Vorstellung ist, dass elektrifizierte Grenzzäune das Problem der “Ansteckung” lösen könnten – sei es das Übergreifen der Finanzkrise, COVID-19 oder die Flüchtlingsströme. Dass Mauern und Grenzzäune Sicherheit bieten, ist nicht nur eine Lüge, sondern auch eine gefährliche Täuschung.
MeRA25-DiEM25 wird weiterhin den einzigen Weg aufzeigen der zu Sicherheit mit Wohlstand führt: Radikaler Internationalismus. Unser transnationaler Zusammenschluss basiert auf dem gemeinsamen Verständnis, dass alle (wirtschaftlichen und finanziellen) Epidemien und alle Massenbewegungen von Menschen, die um ihr Leben kämpfen, transnationaler Natur sind und daher transnationale Lösungen erfordern. Lösungen, die nur durch unseren konstruktiven Ungehorsam gefunden werden können: Widerstand gegen die Austeritätspolitik, gegen Militarisierung und Fremdenfeindlichkeit. Und eine konstruktive, transnationale, humanistische Politik die an ihre Stelle tritt.
Foto: Reuters
Komm zum DiEM25 (Spät-)Sommerfest nach Berlin!
Am 19. September veranstaltet DiEM25 in Berlin das Sommerfest 2020.
Die Teilnahme ist frei und den Raum finanziert die Bewegung. Für allerlei Verpflegung, Print- und andere Materialien freuen wir uns aber sehr über eure Spende über unseren Fundraiser.
Auch wenn wir den Sommer etwas verspätet und unter Corona Bedingungen feiern, laden das DSC Berlin und das Bundeskollektiv alle DiEM25 Mitglieder, solche die es werden möchten und all jene, die über die Zeit den Kontakt mit uns verloren haben, ein, den 19. September gemeinsam im Redaktionsgebäude des neuen Deutschland, Franz-Mehring-Platz 1, in Berlin zu verbringen.
Wir beginnen mit einem zwanglosen Beisammensein am Freitagabend, halten uns möglichst zurück, um uns ab 09:00 im großen Saal des Franz-Mehring-Platz 1 zum Frühstück zu treffen.
Das gesamte Programm steht noch nicht fest, eine erste Struktur existiert jedoch schon, die noch um eine zweite parallele Reihe an Workshops und Vorträgen und den Livestream der Progressive International erweitert wird. Das gewohnt entspannte Miteinander vor, nach und während des Tages rundet das Ganze ab und wir freuen uns, mitzuteilen, dass wir bereits mit 30 Gästen rechnen.
Um sicher Abstand halten zu können, ist die Veranstaltung auf 45 Gäste begrenzt, wer also noch kommen möchte, meldet sich bitte bei [email protected] an. Gerne könnt ihr noch hinzufügen, ob ihr eine Bezugsperson im Fall von Nachfragen zu unserer Bewegung zugelost bekommen wollt, oder ihr selbst anderen helfen möchtet, um so auch einzelnen und neueren Gästen einen schönen und informativen Tag zu ermöglichen.
Im Gegensatz zum letztjährigen Sommerfest in Leipzig (liebsten Dank noch einmal für ein gelungenes und inspirierendes Wochenende an alle die dabei waren), gibt es dieses Jahr nur an einem Tag inhaltliches Programm. Wir arbeiten auch an einem Rahmenprogramm und werden alle, die sich für das Sommerfest anmelden hierzu und zu vielen weiteren Randinformation nochmal informieren.
Wir freuen uns sehr. Bei Ideen, Wünschen und Fragen, schreibt uns bitte an [email protected]
Zur Realisierung des Sommerfestes sind wir auf die Spenden unserer Mitglieder und Sympathisant*innen angewiesen. Klicke hier um einen Beitrag zu leisten.
Titelbild: Foto vom Sommerfest in Leipzig 2019.
Erinnern heißt Kämpfen!
Es sind sechs Monate vergangen, seit ein Rassist zehn Menschen – inklusive seiner Mutter – in Hanau erschossen hat. An diese Bluttat zu erinnern bedeutet gegen den weiter eskalierenden Rassismus zu kämpfen: Gegen die Terroristen und die Brandstifter, aber auch gegen die Gesellschaftsstrukturen, die diese erschaffen haben.
Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu. Dies sind die Namen derer, die wir nicht vergessen werden. Es sind die Namen der Opfer des rassistisch motivierten Terrorattentats, welches sich in Hanau am 19. Februar 2020 ereignete. Dass diese Menschen sterben mussten, legt den eskalierenden Rassismus der Gesellschaft offen. Dass diese Menschen sterben mussten, legt die Realitäten eines Systems offen, welches ganz offensichtlich einen guten Nährboden für faschistoides Gedankengut, für faschistoide Demagogen und damit auch für rassistische Mordtaten bereitet.
Um ihrer zu gedenken, schließt sich DiEM25 dem Aufruf der Angehörigen der Opfer, der Überlebenden, der Betroffenen, des Instituts für Zivilcourage – 19. Februar Hanau, sowie der Initiative 19. Februar Hanau an und fordert dazu auf, am 22.08.2020 zur zentralen Demonstration nach Hanau zu fahren, um der Opfer zu gedenken, sowie um Aufklärung und Konsequenzen zu fordern.
Bereits gestern zog es tausende Menschen auf die Straße – in Hanau, aber auch in Berlin, Hamburg und in über dreißig weiteren Städten. Denn den Opfern des Rechtsterrorismus zu gedenken, bedeutet gegen den Rechtsextremismus zu kämpfen. Diese Demonstrationen stehen deshalb in einer Linie mit dem Kampf für die Aufdeckung und die Zerschlagung rechtsextremer Strukturen in den Staatsapparaten, wie etwa die Verstrickungen des Verfassungsschutzes mit der Terrororganisation NSU, oder den zahlreichen rechtsextremen Netzwerken innerhalb von Militär und Polizei. Auch stehen diese Demonstrationen in einer Linie mit dem Kampf gegen die geistigen Brandstifter der AfD, welche ihre Fantasien eines autoritären Ethnostaates bis in den Deutschen Bundestag tragen, und sie stehen in einer Linie mit dem Kampf gegen den gesellschaftlichen Alltagsrassismus, den unzählige People of Color in Deutschland tagtäglich erleben. Und zuletzt stehen diese Demonstrationen in einer Linie mit dem Kampf gegen die gesellschaftlich-ökonomischen Rahmenbedingungen, die den Rassismus hervorbringen. Denn nicht nur ist die Entstehung des modernen Rassismus mit der Entstehung des Kapitalismus unzertrennlich verwoben, auch der Zusammenhang zwischen der neoliberalen Ungleichheitspolitik und dem Rechtextremismus ist gut belegt.
Der Kampf von DiEM25 für ein demokratisiertes Europa und eine postkapitalistische Gesellschaft steht klar in der antifaschistischen sowie antirassistischen Tradition. Demokratische Gleichberechtigung und Rassismus schließen sich gegenseitig aus. Die Morde von Hanau beweisen dies in all ihrer unvorstellbaren Brutalität. Es gilt daher, den Kampf für eine bessere und gerechtere Gesellschaft auf die Straße zu tragen. Die Demonstration in Hanau kann hierfür ein Startpunkt sein. Siamo Tutti Antifascisti!
Schließ dich an und sei dabei: Am 22. August in Hanau bei der bundesweiten Demo und Kundgebung. Die teilnehmenden DiEMistas treffen sich um 13:00 Uhr vor dem Eingang der Orion-Apotheke am Kurt-Schumacher-Platz im Stadtteil Kesselstadt, von wo aus der Demozug starten wird.
Text: Timm Kühn
Bild: https://19feb-hanau.org
Das DiEM25 Koordinationskollektiv steht zur Neuwahl an – Zeit, abzustimmen!
Lass Deine Stimme hören!
Im letzten Monat haben wir den Wechselprozess für unser Koordinierungskolletiv (KK) angestoßen. Kandidat*innen quer durch die EU – und darüber hinaus! – haben ihre persönlichen Erklärungen und Videos hier gepostet.
Diese Kandidat*innen sind alle engagierte DiEMer*innen und bereit, anzutreten und anzupacken, damit unsere Bewegung vorwärts gehen, wachsen und ihre Ziele erreichen kann.
Jetzt also bist Du an der Reihe, Dich an diesem für DiEM25 sehr wichtigen demokratischen Prozess zu beteiligen: wähle die Kandidat*innen, von denen Du glaubst, dass sie uns am bestn in den kommenden Monate lenken werden.
Du kannst Deine Wahl ab jetzt bis zum 28. August um 23:59 Uhr hier treffen.
Carpe DiEM25!
Rettet die europäische Demokratie!
Ein Beitrag von DiEM25-Mitglied Timm Kühn
Der Demokratie geht es nicht gut. Das zeigt sich nicht nur daran, dass Teile der europäischen Bevölkerung offenbar bereit sind, ihre Stimme rechtsnationalen und anti-demokratischen Kräften zu geben. Denn da sich der Anerkennungsgrad einer Demokratie aus der Glaubwürdigkeit ableitet, welches den demokratischen Verfahren allgemein geschenkt wird, lässt sich die Gesundheit einer repräsentativen Demokratie noch viel genauer bestimmen: Durch die Frage, inwieweit die Bürger*innen ihren Repräsentant*innen glauben, dass diese auch wirklich ihre und die gesamtgesellschaftlichen Interessen vertreten. Es muss deshalb erschüttern, dass laut Eurobarometer nur 34,1% der Europäer*innen den nationalen Parlamenten vertrauen – den politischen Parteien sogar nur 19,2% (1).
Aus einer links-progressiven Perspektive können diese Zahlen aber nur erschüttern, nicht verwundern. Denn was sich hier widerspiegelt, ist nichts als die alte Einsicht, dass wir nicht einfach in einem demokratischen, sondern in einem demokratisch-kapitalistischen System leben. Dabei besteht zwischen Demokratie und Kapitalismus stets ein Spannungsverhältnis. Denn anders als in der abstrakten Vorstellung der Demokratietheorie, welche davon ausgeht, dass Volksvertreter*innen ausschließlich mit den Interessen des Volkes beauftragt sind, erscheint den Repräsentant*innen im demokratischen Kapitalismus eine zweite Referenzgruppe; die Agenten des Kapitals betreten die Bühne. Diese können sich aber nicht mit dem Wählen wirtschaftsliberaler Parteien zufrieden geben, da sie sich, zumindest prinzipiell, stets mit der zahlenmäßigen Übermacht der Lohnabhängigen konfrontiert sehen, deren Interessen den eigenen häufig diametral gegenüber stehen. Doch die Eigner*innen und Verwalter*innen des Kapitals verfügen über den Trumpf, sich in die wirtschaftliche Sphäre zurückziehen zu können. So sind sie in der Lage, durch das Zurückhalten von Investitionen (“Liquiditätspräferenz”) oder Kapitalflucht, Wirtschaftskrisen auszulösen, durch die das Wachstum stagniert und die Arbeitslosigkeit anzusteigen beginnt. In der Folge ist die Politik gezwungen, das Kräfteverhältnis zwischen Lohn- und Kapitalabhängigen neu auszuhandeln; und dies geschieht zumeist im Interesse der Kapitalfraktion. Anders als die lohnabhängigen Staatsbürger*innen kann das Kapital seinen Unmut also nicht nur durch Wahlen ausdrücken, sondern zudem (von Lobby- und Medienmacht einmal ganz abgesehen) durch die wirtschaftliche Sphäre, in der Macht nicht durch demokratische, sondern durch kapitalistische Funktionslogiken bestimmt wird (2).
Hinzu kommt, dass die neoliberale Revolution ab den 1980er Jahren der Demokratie schweren Schaden zugefügt hat. Denn der Hauptangriffspunkt des Neoliberalismus war nichts weniger als die Grundbedingung einer jeden Demokratie – die Idee der Gesellschaft selbst. Die demokratische Gesellschaft lebt davon, dass das Gerechte durch gesellschaftliche Debatten und kollektive Absprachen bestimmt wird. Im Neoliberalismus kann aber nur gerecht sein, was vom Markt bestimmt und in Preisen ausgedrückt werden kann. Ökonomisierung ist daher immer auch Entdemokratisierung, sprich: die Verdrängung des demokratischen Prinzips. In diesem Sinne sind die neoliberalen Umstrukturierungen der Gesellschaft als direkter Angriff auf die Demokratie zu verstehen: Zu denken wäre etwa an den Bruch des mit den Gewerkschaften eingegangenen Gesellschaftsvertrags, an die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen, des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Medienanstalten, an die Kürzungen des Sozialstaats, an die Zuwendung politischer Parteien hin zu hoch spezialisierten Berater- und Lobbyistenzirkeln oder an die Steuersenkungen für Unternehmen und Kapital. In jedem dieser Fälle wurde die gesellschaftliche Kontrolle der Märkte geschwächt und kollektive Absprachen durch vermeintlich objektive (faktisch aber den Kapitalinteressen dienende) Marktlogiken ersetzt (3).
Auch dass sich die demokratischen Nationalstaaten in der Finanzkrise ab 2008 entschieden haben, die Schulden von Großbanken und Großkonzernen durch eigene Neuverschuldung zu sozialisieren, hat die Abhängigkeit der Regierungen gegenüber dem Finanzkapital wohl nicht unbedingt verbessert. Und schließlich ist da das Problem, dass sich die nationalen Demokratien in globale Wirtschaftsräume eingegliedert haben. Denn durch die unzähligen Verträge und Abkommen, welche den Weltwirtschaftsraum mittlerweile verrechtlichen, wurden die nationalen Regierungen so in Verbindlichkeiten eingebunden, welche die Handlungsmöglichkeiten der Demokratien weit über laufende Amtszeiten hinaus eingrenzen. Das beste Beispiel für diese Entwicklung ist die Europäische Union selbst: Denn europäische Institutionen – häufig spärlich demokratisch legitimiert – stehen faktisch über nationalem Recht (4). Was das für das demokratische Ideal der Volkssouveränität bedeuten kann, hat sich in der griechischen Staatsschuldenkrise in aller Brutalität gezeigt.
Zukunft der Demokratie: Nationalstaat oder Transnationalisierung?
Was also kann getan werden, um die Demokratie zu revitalisieren? Mit schäumenden Mund melden sich hier die rechtsnationalen Kräfte zu Wort. Dabei haben sie zwar keine Gegenwartsanalyse vorzuweisen, können aber doch mit ausgemachten Sündenböcken und einem klar definierten Programm punkten: „Zurück in den Nationalstaat und die Volksgemeinschaft!“, hallt es dann durch Straßen und Parlamente. Ein Schlachtruf, der selbst manch eine*n, dessen Herz eigentlich links schlägt, nostalgisch werden lässt. Denn war es nicht schön, in der guten alten Zeit des Nationalstaats? Als Wahlen noch Bedeutung hatten, als Wirtschaftspolitik im Schulterschluss zwischen Gewerkschaften und Kapital betrieben wurde? Als noch mit Stolz verkündet werden konnte: “Ich wähle die Sozialdemokratie”? Warum also nicht wieder Grenzbäume pflanzen und Wechselstuben bauen? Wäre das nicht ein kleiner Preis für die zurückgewonnene Idylle?
Die links-progressive Antwort muss hier aber sein, auf den harten Fakten zu bestehen, die vielleicht unangenehm, aber leider unabänderlich sind. Denn es bleibt wahr, dass sich der Kapitalismus nicht mit den Köpfen der Menschen gemeinsam renationalisieren wird. Und dies führt zu einem tragischen Dilemma: Wenn der Kapitalismus global bleibt, die Demokratie aber versucht, sich in einem heroischen Akt der Selbstrettung in den Nationalstaat zurückzuziehen, dann nehmen wir uns als Demokrat*innen selbst die Mittel, mit denen wir dem Globalkapitalismus tatsächlich etwas entgegensetzen können. Die Ironie der heutigen Zeit ist also, dass es ebenjene “Demokraten” sind, die den Nationalstaat zurückbeschwören, welche das Grab der Demokratie selbst schaufeln. Statt also auf die Illusion der nationalstaatlichen Entscheidungsmacht hineinzufallen, müssen wir auf fortschrittliche Antworten setzen. Und deshalb muss die demokratische Antwort auf den Globalkapitalismus die Transnationalisierung der Demokratie beinhalten (5). Denn nur wenn wir Europa demokratisieren, können wir einen ausreichend großen Wirtschaftsraum kontrollieren, sodass wir die Entscheidungshoheit über die Frage, wie wir in Zukunft leben und unsere Gesellschaften organisieren wollen, tatsächlich zurückgewinnen können.
Losverfahren und Bürgerräte für eine Demokratie des 21. Jahrhunderts?
Die produktive Frage lautet also heute: Wie ließe sich eine europäische Demokratie konzeptionieren, ohne dass – bei ca. 400 Millionen Stimmberechtigten – die einzelne Stimme endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwindet? Hier schließlich wird die antike Methode des Losverfahrens relevant, über die seit längerem diskutiert wird und die u.a. kürzlich in der irischen Entscheidung zur Liberalisierung des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche mit großem Erfolg angewendet wurde.
Der Kern des Losverfahrens ist dabei ein anderes Verständnis von Demokratie: Denn gehen Wahldemokratien von dem Idealbild einer Willensbeziehung zwischen Regierten und Regierenden aus, so stellen sich Losverfahren-basierte Modelle die Repräsentanten als Abbild der Repräsentierten vor. Hierzu wird sich einer Methode bedient, die uns aus sozialwissenschaftlichen Meinungsumfragen geläufig ist; der zufälligen Wahl per Los, welche eine repräsentative Auswahl von Bürger*innen schafft, die in jeder entscheidenden Hinsicht (sozioökonomische Klasse, politische Überzeugungen, Geschlecht, Herkunft etc.) die Gesamtbevölkerung spiegelt. So könnte die elitäre Kaste der Berufspolitiker*innen aufgebrochen werden – und zwar ohne ein Quotensystem, über deren genaue Definition und Inhalt der Streit nie enden wird. Enormer Vorteil für den europäischen Kontext ist auch, dass sich in einer repräsentativen Auswahl alle europäischen Nationalitäten wiederfinden werden. Zudem ist die Methode auch in großen politischen Entitäten wie der Europäischen Union signifikant. Während die wahlbasierte Demokratie in Europa also an ihre Grenzen stößt, kann dies von einer auf dem Losverfahren basierenden Demokratie nicht behauptet werden.
Durch das Losverfahren könnten durch Normalbürger*innen bestellte Bürgerräte gebildet werden, die sich – bei fachlicher Unterstützung durch von den Räten selbst bestellte Expert*innen – intensiv mit einer bestimmten Thematik auseinandersetzen könnten, um schließlich Empfehlungen zu geben oder auch Entscheidungen zu treffen. Das Besondere an diesem Ansatz ist dabei, dass er als tendenziell unbegrenzt gelten muss. Denn in der praktischen Umsetzung sollte sich hier nicht nur ein zufällig ausgewählter Bürgerrat vorgestellt werden. Prinzipiell kann die Methode auf jeder politischen Ebene (kommunal, regional, national, europaweit) angewandt werden. Auch könnten – unter anderem, um die Macht der Bürgerräte durch checks-and-balances einzudämmen – unterschiedliche Teilaufgaben des politischen Prozesses von unterschiedlichen Räten übernommen werden. Denkbar sind etwa Bürgerräte, die sich mit dem Aufstellen einer Agenda befassen, solche, die das Ausarbeiten von Gesetzestexten übernehmen, solche, die diese Gesetzestexte überprüfen, solche, die über die Gesetze abstimmen und solche, welche den Gesamtprozess dieses politischen Entscheidungsfindungsverfahren überwachen und gegebenenfalls weiterentwickeln (6).
Klar ist, dass so eine nicht gerade kleine Anzahl von Bürgerräten entstehen würde. Klar ist auch, dass eine solche europäische Demokratie ein großer organisatorischer (sowie finanzieller) Aufwand wäre, nicht zuletzt, weil der Dienst in einem Bürgerrat selbstverständlich vergütet werden müsste. Klar ist schließlich aber auch, dass eine solche Demokratie den großen demokratischen Idealen – gleicher Anspruch aller Beteiligten auf Inklusion, sowie Rückbindung der Entscheidungen an einen zwanglos-diskursiven Austausch – vielleicht zum ersten Mal wirklich nahe kommen könnte. Es muss dabei hervorgehoben werden, was die Einbindung von Normalbürger*innen mittelfristig für den politischen Diskurs bedeuten könnte: Denn zahlreiche sozialwissenschaftliche Experimente scheinen konsequent die Stereotypen zu widerlegen, nach denen Normalbürger*innen nicht in der Lage sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Die Empirie zeigt viel mehr: Wenn Menschen die Chance erhalten, sich jenseits des Medientrubels intensiv mit einer Thematik auseinander zu setzen, werden sie Gegenargumenten gegenüber empfänglicher, sie beziehen alternative Perspektiven in ihre Entscheidungen mit ein und sie behalten den Blick für das Ganze (7). Projizieren wir diese Erkenntnisse auf eine Gesellschaft, in der die Chancen nicht schlecht stehen, dass jede*r Einzelne im Laufe seines oder ihres Lebens tatsächlich die Möglichkeit erhält, am politischen Prozess signifikant mitwirken zu können, könnte tatsächlich eine Rationalisierung des politischen Diskurses eintreten. Wir würden Populismus mit Partizipation begegnen. Wir würden eine echte Demokratie jenseits von elitären Machtzyklen, Lobbyismus und aufgepeitschten Presseberichten ermöglichen. Wir würden eine europäische Demokratie schaffen.
Sind ausgeloste Bürgerräte also eine Antwort auf alle Probleme der kapitalistischen Demokratien? Nein, ganz sicher nicht. Zum einen können Bürgerräte nicht die grundsätzliche Spannung zwischen Kapitalismus und Demokratie auflösen, da der Kapitalismus natürlich fortbesteht, auch wenn die Demokratie reformiert wird. Zum anderen sind auch ausgeloste Bürgerräte nicht in der Lage, das bestehende Repräsentativsystem vollständig zu ersetzen. Denn natürlich bräuchte es auch weiterhin Regierungen, welche fähig sind, kurzfristig und effizient auf Problemlagen zu reagieren. Und natürlich bräuchte es auch weiterhin Parlamente und Parteien, die gewillt sind, diese Regierungen zu kontrollieren. Als Ergänzung der bestehenden demokratischen Institutionen strahlt das Projekt jedoch eine enorme emanzipative Kraft aus:
Dem Gerede von der Notwendigkeit marktkonformer Parlamentsentscheidungen (das Angela Merkel nachgesagt wird) würde ein Bollwerk entgegengesetzt, welches die Frage, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen, tatsächlich wieder in den Mittelpunkt stellt. Ausgeloste Bürgerräte könnten sich aus Lobby- und Machtverstrickungen befreien. Sie würden die Souveränität des (europäischen) Demos, in letzter Instanz über die eigene Zukunft entscheiden zu können, wiederherstellen. Wenn eine solche Reform auf europäischer Ebene angegangen werden würde, könnte so auch das Machtverhältnis zwischen Globalkapitalismus und Demokratie wieder eingerenkt werden. Schließlich könnte sich das Faktum, dass der Kapitalismus in einem solchen Projekt nicht grundsätzlich angetastet würde, sogar als ein politisch positiver Faktor erweisen, da sich in Europa zwar überragende Mehrheiten für die Revitalisierung der Demokratie, aber weit weniger Mehrheiten für radikal-antikapitalistische Projekte finden lassen. In diesem Sinne stünde das Projekt für eine neu-radikalisierte Sozialdemokratie. Da die klassischen Vertreter*innen dieser Strömung aber durch Eigenverschulden ausfallen, braucht das Projekt einen politischen Agenten – und wer könnte da besser geeignet sein als DiEM25, die Bewegung der europäischen Solidarität, die Bewegung der europäischen Demokratie, die Bewegung des Europäischen Frühlings?
Zum Weiterlesen:
1) Eurobarometer (2019): Trust in Institutions. Unter: https://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/Chart/index .
(2) Streeck, Wolfgang (2013): Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Berlin: Suhrkamp.
(3) Siehe u.a.: Brown, Wendy (2015): Undoing the Demos. Neoliberalism‘s Stealth Revolution. New York: Zone Books. Und: Harvey, David (2007): A Brief History of Neoliberalism. New York: Oxford University Press.
(4) Gill, Stephen/Cutler, Clair (2014): New Constitutionalism and World Order. Cambridge: University Press. Siehe auch: Streeck (2013).
(5) Habermas, Jürgen (2013): Im Sog der Technokratie. Kleine Politische Schriften XII. Berlin: Suhrkamp.
(6) Bouricius, Terrill G. (2013): Democracy Through Multi-Body Sortition: Athenian Lessons for the Modern Day, in: Journal of Public Deliberation, Vol. 9 (1), Art. 11.
(7) U.a.: Fishkin, James (2009): When the People Speak. Deliberate Democracy and Public Consultation. Oxford: University Press. Auch in: Van Reybrouck, David (2013): Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist. Göttingen: Wallstein.
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Gegen die Auslieferung von Julian Assange an die Vereinigten Staaten: Unser Recht zu wissen ist sein Recht zu veröffentlichen
Am 1. August wurde in Leipzig eine weitere Fotoausstellung zum Thema Julian Assange und Pressefreiheit zusammen mit der Courage Foundation eröffnet.
Wie bereits in andere Europäischen Städten wir Bergen, Berlin, Kopenhagen u.v.a.m. soll auf die mögliche Auslieferung Julian Assanges an die USA aufmerksam gemacht werden.
Assange erleidet derzeit menschenrechtswidrige psychologische Folter und die gesamte Anklage gegen diesen Journalisten ist eine Gefahr und Einschränkung der Pressefreiheit.
Berühmte Vertreter aus Politik und Kunst (Ai Weiwei, Srećko Horvat, Yanis Varoufakis,, Pamela Anderson, Vivienne Westwood, M.I.A. etc.) stellen sich immer wieder hinter den Gründer von Wikileaks, der derzeit im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sitzt. Nach ersten Anhörungen im Februar und zuletzt einem Event in Berlin im selben Monat werden wir nun auch in Leipzig öffentlich auf die menschenrechtswidrige Situation des Journalisten, Aktivisten und Gründers von WikiLeaks aufmerksam machen.
Die Ausstellung zeigt Unterstützer, die Schilder halten, um einfach und klar auszudrücken, warum sie sich für Julian Assange einsetzen, den die USA für die Veröffentlichung von Hunderttausenden von diplomatischen und militärischen Dokumenten im Jahr 2010 bestrafen will.
Durch diese Veröffentlichungen wurden Kriegsverbrechen an unzähligen zivilen Opfern, zügellose Korruption und Missbrauch aufgedeckt. Die Trump-Administration hat 17 Anklagepunkte wegen Spionage gegen Assange vorgebracht, die erste derartige Anklage gegen einen Journalisten überhaupt, die mit lebenslanger Haft droht.
Esteban Servat
Programm
• 19-20Uhr : Eröffnung und Fotoportrait-Shootings
• 20-21Uhr : Vortrag mit dem Biologen Esteban Servat Gründer von EcoLeaks, der eine geheime Studie der argentinischen Regierung über die Umweltauswirkungen des Fracking von Mendoza veröffentlichte
Mit
• Esteban Servat (EcoLeaks)
Ort
• Galerie Ku, Kantstraße 18, 04275 Leipzig
Gemeinsame Erklärung zu den zunehmenden Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei
Kriegstreiber, Profiteure der fossilen Ölindustrie und Politiker*innen, die unser nicht nachhaltiges Wirtschaftssystem unterstützen, verschärfen dieser Tage die Spannungen im östlichen Mittelmeerraum – insbesondere zwischen Griechenland und der Türkei.
Diese schädliche Koalition aus Oligarchen, Kriegstreibern und bestimmten Politiker*innen, die überall nach Öl und Gas bohren wollen, mit tödlichen Auswirkungen auf die lokalen Ökosysteme, das weltweite Klima und die Aussichten auf Frieden und Wohlstand für die Bevölkerung in der Region, arbeitet eifrig darauf hin, Menschen zu spalten, zu unterdrücken und ihnen die Zukunft zu stehlen.
DiEM25 setzt sich, wie in unserem Manifest beschrieben, für ein ökologisches Europa ein, das einen weltweiten nachhaltigen Wandel vorantreibt. Ein geschichtsbewusstes Europa, das eine leuchtende Zukunft anstrebt, ohne sich vor seiner Vergangenheit zu verstecken. Ein internationalistisches Europa, das weiß, dass kein*e Europäer*in frei sein kann, solange die Menschen nicht überall frei sind. Ein friedliches Europa, das Spannungen in seiner Nachbarschaft und darüber hinaus deeskaliert.
Aus diesem Grund entscheidet sich DiEM25 in einer Zeit zunehmender Spannungen, auf die Umwandlung der Ägäis und des östlichen Mittelmeers in einen Raum des Friedens, der Zusammenarbeit, der geteilten erneuerbaren Energien und des gemeinsamen grünen Wohlstands hinzuarbeiten.
Unterzeichnet von
Bundeskollektiv von DiEM25 in Deutschland
Nationales Kollektiv von DiEM25 in Griechenland
Provisorisches Nationales Kollektiv von DiEM25 in der Türkei
Ein Blick auf feministische Themen im Kontext von DiEM25
Ein Kommentar von DiEM25-Mitglied Christine Madelung
Auch wenn sich DiEM25 in seiner Programmatik und Zielen nicht explizit als Frauenrechtsorganisation versteht, sind doch gendergerechter Umgang miteinander und der Einsatz für Frauenrechte dabei immer mitberührt. Gerade angesichts zunehmender globaler gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ungleichheit spielen diese Themen mit hinein in den Kern der Arbeit von DiEM25.
Das Zitat von Simone de Beauvoir, dass Frauen nicht als Frauen geboren, sondern erst zu Frauen gemacht würden, ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt und kommt inzwischen schon reichlich altbacken daher. Dennoch sehen wir, dass trotz seit mehr als hundert Jahren zunehmender Sichtbarkeit und Bedeutung von Frauen im öffentlichen Leben, in der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung, in Arbeit und Wirtschaft, immer noch in Bezug auf Gleichberechtigung, Teilhaberechte und Unversehrtheit der Person weltweit vieles sehr im Argen liegt.
Noch immer sind weltweit Frauen in besonderer Weise von Menschenrechtsverletzungen betroffen: Durch sexualisierte Folter und Behandlung in politischer Haft, durch frauenspezifische Repression in kriegerischen Auseinandersetzungen und in Friedenszeiten, durch Vergewaltigung als militärische Strategie, sowie durch geschlechtsspezifische Übergriffe auf Frauen als Angehörige von Minderheiten sind Frauen fast regelhaft sexueller Folter, Ausbeutung und Versklavung ausgesetzt. Ein neueres Beispiel ist das Schicksal der Jesidinnen im Nahen Osten. Frauen erleiden hier nicht nur das gleiche Schicksal wie ihre männlichen Angehörigen, sie erleiden zusätzlich(!) frauenspezifische Repression.
Frauen sind diejenigen, die bei Umweltkrisen, bei nachlassenden Agrar- und Wasserressourcen die Versorgung der Familie sicherstellen müssen. Und Frauen sind ebenfalls und hier auch wieder auf besondere Weise bei Flucht und Vertreibung betroffen: Als zurückgebliebene Verantwortliche für Familie und Kinder, als Alleinreisende mit Kindern und als Mitfliehende, denen auf der Flucht und in Lagern die Aufrechterhaltung des Überlebens der Familie obliegt. Gerade hier während der ungeschützten und ungesicherten Fluchtsituation sind Frauen zusätzlich zu den allgemeinen Härten und Gefahren besonders von sexueller Gewalt und Ausbeutung bedroht. Zum Teil ausgeliefert an Schlepper, wird ihre Situation häufig für Frauenhandel und Zwangsprositution ausgenutzt, weil dies die einzige Möglichkeit ist, eine Weiterflucht zu finanzieren.
Frauen an den Nähmaschinen, an Tee- und Kaffeesträuchern, auf glyphosatverseuchten Äckern überall im globalen Süden, an den Fließbändern für Plastikramsch und Billigpielzeug – Es ist unter anderem diese kritische Sichtweise auf die Arbeitsbedingungen von besonders Frauen, die DiEM25 in Bezug auf internationale Lieferketten einnimmt.
Frauenhandel und sexuelle Versklavung, Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und -verschleierung ebenso wie Kinderpornographie, fast immer sind es Mädchen und Frauen, die in den Schattenräumen autoritärer, aber auch “freier” Gesellschaften im Sinne männlicher Allmachtsfantasien und Dominanz entwürdigt, ausgebeutet und misshandelt werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass noch heute in allen Gesellschaften ein übergroßer Anteil von Vergewaltigung und Gewalt gegen Kinder und Frauen im häuslichen, im familiären Umfeld stattfindet.
„… Wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist sexualisierte Gewalt gegen Kinder ein klassenloses Verbrechen. Ein Verbrechen, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt und in ihrer Mitte stattfindet. Das nicht auf einzelne Schichten, soziale Randgruppen, kulturelle Milieus oder Berufsbranchen beschränkt ist. Das seine Tatorte überall findet, in der Wohnung, am Arbeitsplatz, in Schul- und Kirchenräumen, im Sportverein. Frauen und Kinder werden getötet, verletzt, erniedrigt, gedemütigt, um das Machtbedürfnis der Täter zu befriedigen. So spiegeln diese Taten auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse wider. Bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen sind die Täter zu 99 Prozent männlich. Bei Kindern als Opfer sind es kaum weniger. …“
– Bascha Mika, Frankfurter Rundschau, 6. Juli 2020
Jenseits von sexueller Ausbeutung und politischer Verfolgung gibt es im Alltag auch in der so genannten ersten Welt immer noch deutliche Benachteiligungen, etwa im Arbeitsleben und der Wirtschaft die sogenannte gläserne Decke für Frauen in der betrieblichen Hierarchie. Es gibt auch bei uns immer noch ungleichen Lohn für gleiche Arbeit. Frauen trauen sich, obwohl inzwischen oftmals besser ausgebildet, häufig weniger zu, lassen sich und werden oft übersehen – und erst langsam lernen nachwachsende Generationen von jungen Frauen, sich zu behaupten und ihren Platz einzufordern.
Die Corona Zeit hat es wie ein Brennglas wieder gezeigt: Es waren hauptsächlich Frauen, die in Supermärkten, Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen den Betrieb am Laufen gehalten haben. Es waren die unteren und untersten Lohngruppen, die hier auf einmal als „systemrelevant“ gesehen wurden. Und dennoch wird ihnen, nachdem jetzt das abendliche Klatschen verebbt ist, diese Arbeit an vorderster Front nicht vergütet. Die Forderung nach gerechteren Löhnen und einer anerkennenden Einmalzahlung hat sich mit zunehmender Rücknahme der pandemiebedingten Einschränkungen wieder verflüchtigt. Mehr noch: Die Phase des globalen Shut Downs scheint zum Rollback zu werden: Zurückgedrängt – häufig neben eigener Home-Office Arbeit – haben hauptsächlich Frauen die Sorge für die Kinder, das Homeschooling und die Carearbeit in der Familie übernommen. Angesichts der weiterhin ungewissen Ansteckungssituation in Schulen und Kindertagesstätten, angesichts zunehmenden Abstandsverlusts vornehmlich männlicher Partygänger, scheint sich das so bald nicht grundlegend zu ändern. Bei Schließungen wird wieder selbstverständlich auf die weibliche Familienarbeit zurückgegriffen werden, so sind z.B. in Grundschulen, Krankenhäusern usw. hauptsächlich weibliche Professionelle von Ansteckung bedroht. Das lief und läuft so selbstverständlich, als hätte es Gleichberechtigung im Zugang zu Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe nie gegeben.
Und dennoch gilt es, sie wahrzunehmen und zu hören: Die „starken Frauen“, die Menschenrechtsaktivistinnen, die Gewerkschaftlerinnen und Rechtsanwältinnen, Politikerinnen und Frauen in Wissenschaft und Forschung. Im amerikanischen Kongress sind es seit den letzten Kongresswahlen gerade besonders progressive junge Frauen, die Trump Paroli bieten, allen voran Alexandria Ocasio-Cortez.
Frauen sind keine Opfer der Umstände sondern in allererster Linie Subjekte politischen und ökonomischen Handelns: Ein gutes Beispiel dafür ist Hannah Arendt. Die Rezeption ihrer Arbeit und ihrer philosophischen Expertise ist ungebrochen, sie wird gerade jetzt angesichts eines erstarkenden rechtslastigen Populismus besonders häufig zitiert. Ihr gilt zur Zeit besondere Aufmerksamkeit durch eine große Ausstellung über ihr Leben und ihr Werk im Deutschen Historischen Museum in Berlin, die noch bis zum 18. Oktober dieses Jahres läuft.
Foto: Gedenkfeier nach der Ermordung Marielle Francos, Uta Grunert, 12 April 2019
DiEM25 gegen die EZB: Ein wichtiger Schritt, um die Instrumentalisierung der EZB gegen die Demokratie in Europa zu entlarven
Generalanwalt Pikamäe widerspricht dem Gericht der Europäischen Union (EuG): Die EZB darf die europäische Bevölkerung nicht daran hindern, die #TheGreekFiles einzusehen
Es geht hier nicht einfach nur um ein Rechtsgutachten darüber, was sich 2015 zugetragen hat.
Es geht um mehr als Griechenland und die rechtswidrige Schließung griechischer Banken, die damit einhergehende Missachtung des OXI-Referendums und die unmenschliche Sparpolitik, die einem kleinen Mitgliedstaat der EU aufgezwungen wurde.
Tatsächlich geht es um eine Entscheidung, die dafür sorgen könnte, dass die EZB nicht länger instrumentalisiert wird, um Sparmaßnahmen für die breite Bevölkerung und zugleich eine fortwährende Umverteilung nach oben durchzusetzen.
Die Entscheidung ist gerade jetzt von größter Wichtigkeit, weil die EZB nach der allmählichen Eindämmung der Coronavirus-Pandemie einmal mehr eingesetzt werden soll, um die Kosten der Krise zulasten der Allgemeinheit umzuverteilen und den demokratisch gewählten Parlamenten dabei keine Wahl zu lassen, als diese Entwicklung abzunicken.
Der kleine Erfolg im Kampf um die Demokratisierung von Europa, den wir heute erleben, könnte letztlich einen großen Unterschied machen.
DiEM25 will sich mit einer grenzübergreifenden politischen Revolution dafür einsetzen, dass die Institutionen der EU nicht länger gegen die Interessen der Bevölkerung instrumentalisiert werden. Können wir auf deine Unterstützung zählen?
2017 hat Yanis Varoufakis im Namen von DiEM25 und gemeinsam mit dem damaligen Europaabgeordneten Fabio De Masi, der inzwischen für Die Linke im deutschen Bundestag sitzt, die EZB unter Berufung auf die gesetzlich verankerte Informationsfreiheit dazu aufgefordert, das Rechtsgutachten zu veröffentlichen, das im Sommer 2015 verwendet wurde, um die Auferlegung von Kapitalkontrollen in Griechenland zu rechtfertigen. Darüber hinaus haben wir unsere #TheGreekFiles-Kampagne gestartet, um öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zu erzeugen. 2018 haben wir rechtliche Schritte gegen die EZB eingeleitet, da unsere Forderung nach Transparenz ignoriert wurde.
Gestern hat sich eine bemerkenswerte Wende in diesem Fall ereignet. Priit Pikamäe, Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Union, hat sich gegen das gerichtliche Urteil positioniert. Das Gericht habe falsch entschieden, indem es der EZB zugestand, das entsprechende Dokument nicht zu veröffentlichen, so Pikamäe. Sein vollständiges Rechtsgutachten kannst du hier nachlesen.
Das dubiose Vorgehen der EZB war ein vernichtender Schlag für die griechische Wirtschaft und die politische Souveränität des Landes
Im Juni 2015 liefen spannungsgeladene Verhandlungen zwischen der erst kürzlich neu gewählten Regierung in Griechenland und ihren Kreditgebern – der „Troika“, bestehend aus der Europäischen Zentralbank (EZB), der EU-Kommission (EK) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Regierung war angetreten, um den Auftrag der griechischen Wähler zu erfüllen: die Staatsverschuldung, die Finanzpolitik und die Reformpläne neu auszuhandeln, um die Bevölkerung vor dem härtesten Sparprogramm der modernen Geschichte und dem damit einhergehenden Leid zu bewahren.
Den Vertretern der Troika war bewusst, dass ein drastischer Schritt erforderlich sein würde, um eine Kapitulation der griechischen Regierung zu erzwingen. Und genau so kam es auch: Die Troika bediente sich der EZB, um eine Schließung der Banken in Griechenland durchzusetzen und so zu erwirken, dass die griechische Regierung – entgegen ihrem demokratischen Mandat – das dritte Rettungspaket annehmen und folglich weitere Sparmaßnahmen und Einschränkungen der staatlichen Souveränität erdulden muss.
Doch bei diesem eifrigen und überstürzten Vorstoß, der darauf abzielte, den Widerstand der griechischen Regierung zu brechen, war die EZB zugleich besorgt darüber, ob ihr Vorgehen rechtlich einwandfrei war. Deshalb wurde eine Anwaltskanzlei von der EZB beauftragt, die Rechtmäßigkeit ihrer Beschlüsse zu prüfen. Das entsprechende Rechtsgutachten ist Teil der #TheGreekFiles.
Als Mario Draghi dazu aufgefordert wurde, das Gutachten zu veröffentlichen, weigerte er sich unter dem Vorwand des Anwaltsgeheimnisses. Professor Andreas Fischer-Lescano, einer der führenden Experten auf dem Gebiet des Europarechts, hat sich mit der Frage befasst, ob diese Entscheidung der EZB gegen die Freigabe der #TheGreekFiles rechtmäßig war. Sein Ergebnis fällt ganz eindeutig aus: Es besteht keine Rechtsgrundlage dafür, das Gutachten über die Beschlüsse der EZB – das schließlich mit Steuergeldern finanziert wurde – den Abgeordneten des Europaparlaments und der europäischen Bevölkerung vorzuenthalten.
Neben dieser juristischen Betrachtung muss außerdem gesagt werden, dass die Befugnis der EZB zur eigenmächtigen Schließung der Banken in einem Mitgliedstaat der Eurozone in jeder Hinsicht undemokratisch ist. Darüber hinaus verstößt sie gegen die Bestrebungen der EZB, die auch als verbindliche Pflicht festgeschrieben sind, unabhängig zu bleiben und sich keiner politischen Strategie unterzuordnen.
Der Fall wird momentan vom Europäischen Gerichtshof geprüft – das abschließende Urteil steht noch aus.
MeRA25 nimmt die griechische Regierung in die Verantwortung
Nach der Stellungnahme von Generalanwalt Pikamäe zu diesem Fall hat Yanis Varoufakis, der Generalsekretär von MeRA25 und Mitgründer von DiEM25, die folgenden Fragen an den griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis gerichtet:
• Teilen Sie den Standpunkt, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, zu erfahren, ob die Beratung durch eine private Anwaltskanzlei – finanziert aus europäischen Steuermitteln – im Hinblick auf die Aussetzung der Liquidität im Bankensektor eines EU-Mitgliedstaates rechtmäßig war?
• Ist Ihnen bewusst, dass die Position der griechischen Regierung hinsichtlich einer fünften Vereinbarung über künftige Finanzhilfen, die ihr schon bald aufgezwungen werden soll, durch die Veröffentlichung dieser Stellungnahme gestärkt wird?
• Werden Sie den Rechtsfall unterstützen, den ich gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi vor den Europäischen Gerichtshof gebracht habe, damit die Menschen in Europa erfahren, wer die Schließung unserer Banken geplant hat, die 2015 zur Anordnung von Kapitalkontrollen über einen Zeitraum von drei Monaten führte?
Die Beurteilung von Generalstaatsanwalt Pikamäe bringt uns neue Hoffnung – sowohl als ein potenziell wichtiger Schritt, um die Intransparenz der europäischen Machtzentralen zu bekämpfen, als auch für die Zukunft Griechenlands. Eine Veröffentlichung der #TheGreekFiles könnte schließlich auf einen großen Sieg für Griechenland hinauslaufen, nachdem die Bevölkerung so lange unter den erdrückenden Folgen unmenschlicher und vollkommen unrealistischer Sparzwänge zu leiden hatte.
Die Abgeordnete Fotini Bakadima von MeRA25 betont die große Bedeutung dieser neuen Wende: “Die gestrige Stellungnahme von Generananwalt Pikamäe ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer transparenteren Zukunft. Alle Menschen in Europa haben das Recht, die wahren Hintergründe von Mario Draghis Entscheidung zu erfahren, die zur Schließung der griechischen Banken im Jahr 2015 führte. Alle Bürgerinnen und Bürger der EU sollten und müssen die Motive hinter politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen von solch großer Tragweite erfahren.“
In unserem achtseitigen Hintergrundpapier kannst du mehr über die Handlungen der EZB in diesem Fall erfahren, die höchstwahrscheinlich nicht von ihrem Mandat abgedeckt waren.
DiEM25 kämpft für Transparenz in Europa
Seit der Gründung im Jahr 2016 hat sich DiEM25 für Transparenz als Grundpfeiler der Demokratie eingesetzt. In unserem Gründungsmanifest erklären wir Transparenz zur notwendigen Voraussetzung, um Europa zu demokratisieren und unser gemeinsames Projekt zu verwirklichen. Unsere Zusammenarbeit mit WikiLeaks-Gründer und DiEM25-Beirat Julian Assange spielt eine entscheidende Rolle für unser Ziel, jene Menschen zu unterstützen und zu verteidigen, die sich ernsthaft und mutig für Transparenz engagieren.
Seit dem 14. März 2020 bietet sich den Menschen in Europa erstmalig ein näherer Einblick in die Konferenzen, auf denen über ihre Zukunft entschieden wird. Die #EuroLeaks von DiEM25 führen sie hinter die Kulissen der mächtigen und intransparenten Eurogruppe, die keinerlei gesetzliche oder vertragliche Basis hat und dennoch weitreichende Entscheidungen fällt, die uns alle betreffen.
Die #Euroleaks sind ein Weckruf an alle europäischen Politiker, um sie daran zu erinnern, dass ihre Arbeit der Bevölkerung dienen soll und dass alle wichtigen Beschlüsse, die sich auf das Leben dieser Bevölkerung auswirken, klar und transparent offenzulegen sind.
Nur mit radikaler Transparenz wird es gelingen, Europa zu demokratisieren und die politische Macht seiner Institutionen demokratisch zu legitimieren.
Wir möchten dich deshalb darum bitten, unsere Kampagnen und Initiativen für einen transparenten Politikbetrieb noch heute mit einer Spende zu unterstützen. #LetLightIn!
*DiEM25 erhält keine öffentlichen Gelder oder staatlichen Zuschüsse jedweder Art – wir stützen uns ausschließlich auf die Spenden unserer Mitglieder.